ZFF-Info 11/2022

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AUS DEM ZFF

„Arbeitsmarkt und Familie: Wie können wir die Arbeitswelt familienfreundlich gestalten?“

Termin: 11. Oktober 2022

Ort: Hotel Aquino, Hannoversche Str. 5B, 10115 Berlin

– Eine Fachtagung des Zukunftsforum Familie e.V. –

Schon länger lässt sich die Erwerbsbeteiligung und die Übernahme von Sorgearbeit miteinander in Einklang bringen – zumindest, wenn wir der politischen Programmatik der vergangenen Jahre Glauben schenken. Dies entspricht auch dem Wunsch vieler junger Eltern: Eine Mehrheit gibt an, Beruf und Familienarbeit partnerschaftlich vereinbaren zu wollen. Die Realität zeigt allerdings, wo das Modell an Grenzen stößt. Frauen übernehmen weiter den Großteil der Sorgearbeit und gehen vielfach einer nicht existenzsichernden Beschäftigung nach. Männer kehren nach einer kurzen Elternzeit häufig in eine überlange Vollzeittätigkeit zurück.

Verschiedene Trends und Strukturen auf dem Arbeitsmarkt verstärken die Herausforderungen für eine gute Vereinbarkeit. Hierzu zählen u. a. die zunehmende Flexibilisierung, die Verdichtung des Arbeitsaufkommens oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Aus Sicht des ZFF müssen gesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie auch Arbeitsverhältnisse selbst, so gestaltet sein, dass Sorgearbeit als selbstverständlicher Teil von Erwerbsverläufen ermöglicht wird. Aber wie können diese Rahmenbedingungen mit Blick auf den Arbeitsmarkt ausgestaltet werden? Gemeinsam mit u. a. Prof. Dr. Bettina Kohlrausch und Teresa Bücker, wollen wir in unterschiedlichen Formaten diskutieren, wie der Weg zu einer familienfreundlichen Arbeitswelt aussehen kann.

Wir bitten Sie, sich den Termin vorzumerken und freuen uns, wenn Sie diese Vorankündigung an Interessierte weiterleiten. Die weiteren Details und Informationen, insbesondere zum Programm und zur Anmeldung, werden Ihnen rechtzeitig vor der Veranstaltung zugehen.                                               

Gefördert vom

        

SCHWERPUNKT I: Selbstbestimmungsgesetz

Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium bringen Ablösung des Transsexuellengesetzes auf den Weg

Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann haben heute gemeinsam die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt.  Das Gesetz soll das Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist. Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen werden künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dazu erklärt Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Selbstbestimmt leben zu können ist fundamental für alle Menschen. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und der Schutz vor Diskriminierung – das sind Rechte, die im Grundgesetz garantiert werden, und zwar für alle Menschen. Das Transsexuellengesetz stammt aus dem Jahr 1980 und ist für die Betroffenen entwürdigend. Wir werden es nun endlich abschaffen und durch ein modernes Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Heute ist daher ein guter Tag für die Freiheit und für die Vielfalt in unserem Land. Das Selbstbestimmungsgesetz wird das Leben für transgeschlechtliche Menschen verbessern und geschlechtliche Vielfalt anerkennen. Die Gesellschaft ist an vielen Stellen weiter als die Gesetzgebung. Wir sind als Regierung angetreten, den rechtlichen Rahmen für eine offene, vielfältige und moderne Gesellschaft zu schaffen.“

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt: „Das Selbstbestimmungsgesetz berührt eine grundlegende Frage unseres Zusammenlebens: Wie ernst meinen wir es mit dem Schutz der persönlichen Freiheit? Nicht alle Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das beim Standesamt für sie eingetragen ist. Das ist Teil der Vielfalt des Lebens. Das geltende Recht behandelt die betreffenden Personen wie Kranke. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Die Schaffung eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes ist deshalb überfällig. Wir gehen dieses Vorhaben nun endlich an – so wie viele andere gesellschaftspolitische Reformen, die andere lange verschleppt haben. Uns geht es nicht darum, die sozialen Verhältnisse auf den Kopf zu stellen; uns geht es um die Einlösung eines zentralen Versprechens des Grundgesetzes: das Versprechen gleicher Freiheit und gleicher Würde aller Menschen.

Durch das Selbstbestimmungsgesetz soll es erstmals eine einheitliche Regelung für trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen zur Änderung des Geschlechtseintrages und der Vornamen geben. Durch eine Erklärung vor dem Standesamt soll eine Änderung des Geschlechtseintrages und der Vornamen möglich sein. Die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Einholung von Gutachten in einem Gerichtsverfahren sollen nach dem Selbstbestimmungsgesetz nicht länger erforderlich sein. Das Selbstbestimmungsgesetz bezieht sich ausschließlich auf die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen. Wenn eine Person neben der Personenstandsänderung auch körperliche geschlechtsangleichende Maßnahmen anstrebt, wird dies wie bisher auf Grundlage fachmedizinischer Regelungen entschieden.

Weitere Informationen und das Eckpunktepapier finden Sie hier:  www.bmfsfj.de/selbstbestimmungsgesetz

Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 30.06.2022

Zum Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz erklärt der Sprecher für LSBTI der FDP-Fraktion Jürgen Lenders:

„Mit dem Selbstbestimmungsgesetz überwinden wir das entwürdigende Transsexuellengesetz und verbessern die Rechtslage für transgeschlechtliche Menschen. Diese wichtige Gesetzesinitiative hat die Ampelkoalition bereits im ersten Regierungsjahr gestartet. Die Gutachten und das Amtsgerichtsverfahren werden endlich abgeschafft. Diese waren für die Betroffenen belastend und entwürdigend. Künftig werden Menschen die Möglichkeit haben, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Zudem werden die Möglichkeiten zur sachkundigen, ergebnisoffenen und kostenlosen Beratung ausgebaut. Ein guter Tag für die Selbstbestimmung.“

Quelle: Pressemitteilung Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag vom 30.06.2022

Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung zur Überwindung des Transsexuellengesetzes und für die Etablierung eines modernen Selbstbestimmungsgesetzes. Dieses muss sich zuallererst am Wohl und besten Interesse des Kindes ausrichten. Die vergangenen Jahrzehnte haben vielfach gezeigt, welch körperliches Leid und seelische Schäden bei Kindern hervorgerufen werden können, wenn Entscheidungen zu ihrer geschlechtlichen Identität ohne sie und gegen ihren Willen getroffen werden.

„Die Entscheidung über die geschlechtliche wie sexuelle Identität kann keinem Menschen durch Eltern, Mediziner*innen oder Mitarbeiter*innen von Standesämtern abgenommen werden. Nur jeder Mensch selbst kann für sich wahrnehmen und feststellen, als welche Person man verortet werden möchte. Eine solche, zutiefst individuelle und persönliche Entscheidung benötigt Zeit, Geborgenheit und Unabhängigkeit. Niemand kommt als fertiger Mensch zur Welt. Und so, wie sich unser Charakter und unsere Vorstellungen von der Welt erst nach und nach entwickeln und ausprägen, benötigt auch die Erkenntnis über unsere geschlechtliche und sexuelle Zuordnung Zeit – mitunter ein Leben lang“, betont Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Vor diesem Hintergrund fordert das Deutsche Kinderhilfswerk die Bundesregierung auf, den gesellschaftlichen Dialog um das Selbstbestimmungsrecht zu forcieren und die Rechte der Kinder dabei in den Mittelpunkt zu stellen. „Viel zu lang wurden Menschen kategorisiert und in Schubladen gesteckt, ohne sie zu beteiligen und viel zu oft wurden Entscheidungen getroffen, unter den Menschen noch Jahrzehnte später litten. Deswegen sollte unstrittig sein, dass auf nicht notwendige Zuordnungen und medizinisch nicht erforderliche Eingriffe verzichten werden kann.“ Mit Blick auf die 1992 von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention führt Thomas Krüger weiter aus: „Jedes Kind hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und ein Höchstmaß an erreichbarer Gesundheit. Die Entwicklung jedes Kindes ist in größtmöglichen Umfang zu gewährleisten, kein Kind darf wegen seines Geschlechts diskriminiert werden.“

„Um den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs frei von Ängsten, Vorurteilen und Scham führen zu können, benötigt es Information, Beratungsangebote und Bildung“, meint der Präsident der Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger. „Neben der weiterhin zwingend notwendigen Aufklärung von medizinischem Personal und Mitarbeitenden in Behörden und Verwaltungen, ist es unerlässlich auch werdende Eltern und pädagogische Fachkräfte über die Vielfalt und Varianz geschlechtlicher und sexueller Ausprägungen zu informieren und ihnen Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen. Im Fokus sollte dabei die Botschaft stehen, dass jeder Mensch einzigartig, wertvoll und liebenswert ist.“

Quelle: Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk e.V. vom 30.06.2022

LSVD begrüßt Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz

Berlin. 30.06.2022. Heute haben Bundesministerin Lisa Paus und Bundesminister Dr. Marco Buschmann erste Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Künftig sollen trans*-, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen ihren Personenstand beim Standesamt ändern können – ohne psychologische Gutachten, medizinische Atteste und teure Gerichtsverfahren. Dazu erklärt Henny Engels aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD):

Der LSVD begrüßt das heute vorgestellte Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz. Damit ist der erste Schritt getan, um die geschlechtliche Selbstbestimmung von trans*- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen zu gewährleisten und das grundrechtswidrige Transsexuellengesetz (TSG) endlich zu beerdigen. Faktenfreien Angstkampagnen, die trans*-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen als Feindbilder und Gefahr für die Gesellschaft phantasieren, muss mit einer sachlichen und unaufgeregten Berichterstattung begegnet werden.

Immer wieder hatte das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass die im TSG gestellten Anforderungen für eine Änderung des Personenstandes gegen die Grundrechte verstoßen. Noch immer müssen trans*- Menschen ein demütigendes und langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei Begutachtungen über sich ergehen lassen. Dieses Verfahren ist nicht nur teuer, sondern auch unwürdig für die Betroffenen. So mussten oft etwa auch Fragen zum Masturbationsverhalten oder zur Unterwäsche beantwortet werden. Trans*- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen wird die Selbstbestimmung immer noch massiv erschwert.

Die rechtliche Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags im Personenstand bei Volljährigen soll mit dem zukünftigen Selbstbestimmungsgesetz beim Standesamt möglich sein – ohne Gutachten, Atteste oder Gerichtsbeschlüsse. Die Selbstauskunft der Person soll künftig ausreichen. Die Rechte von trans*- und intergeschlechtlichen Menschen sollen durch ein sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot gestärkt werden.

Das angekündigte Gesetz sieht für Jugendliche ab 14 Jahren vor, dass sie für die Abgabe der Erklärung über den Geschlechtseintrag auf die Zustimmung der Eltern angewiesen sind. Wollen die Eltern diese Zustimmung nicht erteilen, kann diese durch das Familiengericht ersetzt werden. Diese Lösung entspricht nicht der zunehmenden Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit, die Jugendlichen in anderen Rechtsbereichen, wie beispielsweise der Wahl der Religion oder der Wahl über einen Beruf zugetraut wird. Der Antrag beim Familiengericht stellt vor dem Hintergrund des familiären Zusammenlebens eine extrem hohe Hürde dar.

Den Ausbau von Beratungsangeboten begrüßt der LSVD – es ist zudem begrüßenswert, dass keine Beratungspflicht und damit Verfahrenserschwernis durch die Hintertür angedacht ist.

Auch möchte die Bundesregierung trans*- und intergeschlechtliche Menschen für erlittenes Leid durch Körperverletzungen, wie Zwangssterilisationen oder Zwangsscheidungen entschädigen. Dieser Schritt ist seit Jahrzehnten überfällig. Der Gesetzgeber sollte die Hürden für diese Entschädigungen niedrig halten.

Leider enthält das Eckpunktepapier keine abschließende Regelung zu trans* Elternschaft. Nach derzeitiger Rechtslage werden transgeschlechtliche Eltern im Geburtenregister mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht eingetragen. Beispielsweise wird ein trans* Mann, der ein Kind geboren hat, in der Geburtsurkunde derzeit als Mutter eingetragen. Damit geht ein Zwangsouting einher; zudem entstehen massive Probleme im Alltag. Der Gesetzgeber kündigt hier immerhin eine Interimslösung an, verweist im Übrigen aber auf die anstehende Novelle des Abstammungsrechts. Diese Reform muss nun endlich kommen!

Hintergrund

In einer demokratischen Gesellschaft muss Grundlage staatlichen Handelns der Schutz der persönlichen Freiheit sein und nicht ideologisch aufgeladene Ordnungsvorstellungen über Geschlechtszugehörigkeit.

Der LSVD sieht im Kampf um Selbstbestimmung für nicht-binäre, trans*- und intergeschlechtliche Menschen die konsequente Fortsetzung feministischer, emanzipatorischer und der Freiheit verpflichteter bürgerrechtlicher Politik. Deshalb setzen wir uns mit Nachdruck für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz ein. Das ist seit Jahrzehnten überfällig. Die Verwirklichung der Menschenrechte für nicht-binäre, trans*- und intergeschlechtliche Menschen duldet keinen Aufschub mehr.

12 Antworten auf Fragen zum Thema Selbstbestimmungsgesetz und Trans*geschlechtlichkeit – Die Broschüre informiert in kurzen Abschnitten und liefert konkrete Argumente gegen die kursierenden Falschinformationen und Vorurteile. Sie kann kostenfrei unter presse@lsvd.de bestellt werden bzw. steht als pdf zum Download bereit.

„Gegen trans*feindliche Berichterstattung, für einen respektvollen und sachlichen Umgang!“ – Für eine respektvolle und menschenwürdige Berichterstattung, die Diskriminierung entgegenwirkt

Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetz (TSG) – Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist ein Bürgerrechtsverband und vertritt Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI). Menschenrechte, Vielfalt und Respekt – wir wollen, dass LSBTI als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität akzeptiert und anerkannt werden.

Mit Ihrer Spende und / oder Mitgliedschaft können Sie uns und unsere Arbeit für „Menschenrechte, Vielfalt und Respekt“ unterstützen. Vielen Dank.

Quelle: Pressemitteilung Lesben- und Schwulenverband (LSVD) vom 30.06.2022

NEUES AUS POLITIK, GESELLSCHAFT UND WISSENSCHAFT

Sachverständigengremium soll Potenziale und Teilhabe älterer Menschen untersuchen

Mit dem Thema „Alt werden in Deutschland – Potenziale und Teilhabechancen“ wird sich die Neunte Altersberichtskommission der Bundesregierung befassen, die am 6. Juli von Bundesseniorenministerin Lisa Paus berufen wurde.

Lisa Paus: „Es gibt unzählige Aspekte des Älterwerdens. Die Erfahrungen und Herausforderungen sind unterschiedlich: Ob es um die große Gruppe der Babyboomer geht, um Menschen mit Migrationsgeschichte oder die queere Community. Mit dieser Vielfalt des Älterwerdens und den darin liegenden Potenzialen werden sich die Expertinnen und Experten der Neunten Altersberichtskommission in den nächsten zwei Jahren beschäftigen.“

Vielfalt und Teilhabe

Alt werden in Deutschland ist geprägt von großer Vielfalt. Die Sachverständigenkommission soll in ihrem Bericht die Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen älterer Menschen aufzeigen. Bei der Beschreibung der Heterogenität des Alters und der Teilhabemöglichkeiten älterer Menschen sollen wesentliche Veränderungen der letzten Zeit sowie zu erwartende Entwicklungen in der nahen Zukunft aufgezeigt werden. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung der kommenden Jahre soll außerdem auf die Generation der Baby-Boomer geschaut und herausgearbeitet werden, welche gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen und Chancen mit deren Älterwerden in Zukunft voraussichtlich entstehen werden.

Der Expertenbericht soll bis Ende März 2024 vorliegen. Die Arbeit der Sachverständigenkommission wird begleitet von der Geschäftsstelle Altersberichte der Bundesregierung am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA).

Die Mitglieder der Neunten Altersberichtskommission:

Prof. Dr. Martina Brandt (Vorsitzende), Technische Universität Dortmund

Prof. Dr. Antonio Brettschneider, Fachhochschule Köln

Prof. Dr. Eva-Marie Kessler, Medical School Berlin

Prof. Dr. Susanne Kümpers, Hochschule Fulda

Prof. Dr. Sonia Lippke, Jacobs University Bremen

Prof. Dr. Ralf Lottmann, Hochschule Magdeburg-Stendal

Prof. Dr. Klaus Rothermund, Universität Jena

Prof. Dr. Liane Schenk, Charité Berlin

Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Direktor des DZA

Prof. Dr. Andrea Teti, Universität Vechta

Prof. Dr. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin, Alice Salomon Hochschule Berlin

Die Altersberichte

Die Altersberichte der Bundesregierung gehen zurück auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 1994. Danach hat die Bundesregierung dem Bundestag in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Lebenssituation der älteren Menschen in der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Die Berichte werden durch weisungsunabhängige Sachverständigenkommissionen erarbeitet, die mit Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen besetzt sind.

Bislang erschienene Altersberichte:

  • 2020: Achter Altersbericht „Ältere Menschen und Digitalisierung“
  • 2016: Siebter Altenbericht „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“
  • 2010: Sechster Altenbericht „Altersbilder in der Gesellschaft“
  • 2006: Fünfter Altenbericht „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft – Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen“
  • 2002: Vierter Altenbericht „Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen“
  • 2001: Dritter Altenbericht „Alter und Gesellschaft“
  • 1998: Zweiter Altenbericht „Wohnen im Alter“
  • 1993: Erster Altenbericht zur „Lebenssituation älterer Menschen“

Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/aktiv-im-alter/altersberichte-der-bundesregierung

Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 06.07.2022

Bundesfamilienministerium verlängert Frauenförderprogramm „Stark im Beruf“

Das Bundesfamilienministerium setzt das Programm „Stark im Beruf“ zur Erwerbsförderung von Müttern mit Migrationsgeschichte bis zum Ende dieses Jahres fort. Damit können die bundesweit über 80 Kontaktstellen weiterhin Migrantinnen mit Familienverantwortung in Jobs und Ausbildung vermitteln. Aktuell profitieren davon insbesondere geflüchtete Mütter aus der Ukraine.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „‚Stark im Beruf‘ ist erfolgreich und hat schon vielen Frauen geholfen. Mit dem Programm eröffnen wir Müttern mit Migrationsgeschichte nicht nur einen Weg in gute Arbeit, sondern auch längerfristige Perspektiven in Deutschland. Deshalb freue ich mich, dass wir ‚Stark im Beruf‘ verlängern konnten. Die Nachfrage ist unverändert hoch und es gewinnen alle: die Frauen erhalten eine berufliche Perspektive, die Unternehmen bekommen hochmotivierte Arbeitskräfte.“

Das Programm „Stark im Beruf“ begleitet Migrantinnen mit einer Kombination aus mehrmonatigen Coachings und Frauenkursen individuell auf ihrem Weg in eine Beschäftigung. Da die Teilnehmerinnen Mütter sind, finden die Kurse in der Regel in Teilzeit statt. Der Mix aus sozialpädagogischer Begleitung bei Jobeinstieg, Sprachtraining für die Berufspraxis und Peer-to-Peer-Unterstützung in den Kursen hat sich bewährt, so dass es kaum Abbrecherinnen gibt. Die rund 80 Kontaktstellen in ganz Deutschland haben seit 2015 rund 17.500 Mütter mit gutem Erfolg in die Erwerbstätigkeit begleitet: Ein Drittel wechselte in eine Ausbildung oder hochwertige Beschäftigung, einem weiteren Drittel gelang durch Qualifizierungen erste Schritte auf dem Arbeitsmarkt.

Nach dem Auslaufen der Förderung aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) zum 30. Juni 2022 setzt das Bundesfamilienministerium nun Bundesmittel ein, so dass „Stark im Beruf“ zumindest bis Ende 2022 und bis zum Beginn eines verwandten ESF Plus-Förderprogramms des Bundesarbeitsministeriums weiterlaufen wird.

Weitere Informationen finden Sie auf www.starkimberuf.de

Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 30.06.2022

Neue Studienergebnisse des Alterssurvey veröffentlicht

Die Corona-Pandemie hat alle vor große Herausforderungen gestellt und viel Flexibilität erfordert. Gerade Menschen, die Angehörige, Nachbar*innen oder Freund*innen pflegen und zugleich erwerbstätig sind, mussten ihren Alltag umorganisieren. Neue Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys zeigen, dass insbesondere zu Beginn der Pandemie 2020 mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter Unterstützung und Pflege für andere übernommen haben als noch im Jahr 2017. Im Winter 2020/21 lag die Beteiligung an Unterstützung und Pflege wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Pandemie.

Dabei wird deutlich, dass Frauen nicht nur häufiger als Männer unterstützen und pflegen, sondern auch mit größerem Zeitaufwand: Im Winter 2020/21 brachten sie insgesamt 11,5 Stunden pro Woche im Vergleich zu 7,5 Stunden bei Männern auf. Gerade beim zeitlichen Umfang zeigt sich, dass Erwerbstätigkeit kaum mit zeitintensiver Pflege kombinierbar ist: Während Nicht-Erwerbstätige im Schnitt 17,2 Stunden pro Woche für Pflegeaufgaben aufbringen, sind es bei Erwerbstätigen 7,6 Stunden pro Woche.

Bundesseniorenministerin Lisa Paus: „Pflegende Angehörige leisten einen unschätzbaren Dienst für ihre Familien und für unsere Gesellschaft. Um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern, wurden gleich zu Beginn der Pandemie Sonderregelungen für akute Pflegesituationen, für die Pflegezeit und die Familienpflegezeit auf den Weg gebracht. Das reicht aber nicht. In Zeiten großer Krisen brauchen wir einander ganz besonders. Ich setze mich dafür ein, dass diejenigen, die ihre Arbeitszeit für die Pflege reduzieren, eine Lohnersatzleistung erhalten und damit finanziell abgesichert sind. So wie junge Eltern Elterngeld erhalten, muss auch pflegenden Angehörigen ein Familienpflegegeld zustehen.“

Schnelle Hilfe für Angehörige durch das Pflegetelefon

Pflegende Angehörige tragen viel Verantwortung. Um sie dabei zu unterstützen und schnelle Hilfe zu leisten, stehen Expert*innen des Pflegetelefons, als bundesweites Beratungs- und Informationsangebot des Bundesseniorenministeriums, für Fragen rund um die Pflege und insbesondere zur Familienpflegezeit zur Verfügung. Das Pflegetelefon ist von Montag bis Donnerstag zwischen 9.00 und 18.00 Uhr unter der Rufnummer 030 20179131 und per E-Mail an info@wege-zur-pflege.de zu erreichen.

Über die Befragung

Die erhobenen Daten des Alterssurveys stammen aus dem Sommer 2020, dem Beginn der Pandemie, sowie aus dem Winter 2020/21, der durch den zweiten Lockdown, aber auch durch den Impfstart für vulnerable Gruppen bestimmt war. Zum Vergleich wurde die Befragung aus dem Jahr 2017 herangezogen. Die ausgewerteten Angaben stammen von Personen im erwerbsfähigen Alter von 46 bis 65 Jahren.

Untersucht wurde der Zusammenhang von Unterstützungs- und Pflegeaufgaben mit der Erwerbsarbeit bei Personen im Alter von 46 bis 65 Jahren.

Die detaillierten Ergebnisse sind nachzulesen in: Ehrlich, U., Kelle, N., & Bünning, M. (2022). Pflege und Erwerbsarbeit: Was ändert sich für Frauen und Männer in der Corona-Pandemie [DZA Aktuell 02/2022]. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen.

Online finden Sie die Studie unter: https://www.dza.de/fileadmin/dza/Dokumente/DZA_Aktuell/DZA-Aktuell_02_2022_Pflege-und-Erwerbsarbeit_final.pdf

Der Deutsche Alterssurvey (DEAS)

Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine repräsentative Quer- und Längsschnittbefragung von Personen in der zweiten Lebenshälfte. Im Rahmen der Studie werden seit mehr als zwei Jahrzehnten Menschen auf ihrem Weg ins höhere und hohe Alter regelmäßig befragt. Seit Beginn der Corona-Pandemie fanden zwei Erhebungen des Deutschen Alterssurveys statt, bei denen jeweils Personen befragt wurden, die zuvor schon mindestens einmal an der Studie teilgenommen hatten. An der Befragung im Sommer 2020 (8. Juni bis 22. Juli 2020) haben 4.823 Personen ab einem Alter von 46 Jahren teilgenommen, bei der Befragung im Winter 2020/21 (04. November 2020 bis 1. März 2021) waren es 5.402 Personen. Der Deutsche Alterssurvey wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Quelle: Pressemitteilung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 29.06.2022

Agenda bis 2023 auf jährlicher Sitzung festgelegt

Unter dem Vorsitz von Bundesfamilienministerin Lisa Paus und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, ist heute der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Berlin zusammen gekommen. Die Mitglieder haben sich auf Grundlage ihrer „Gemeinsamen Verständigung“ von Juni 2021 auf eine Agenda verständigt, die weitere Schritte für einen verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung für die nächsten zwei Jahre festlegt.

So wird der Nationale Rat wichtiger Partner der vom Bundesfamilienministerium und der Unabhängigen Beauftragten entwickelten bundesweiten Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne werden, die im Herbst starten wird. Gemeinsames Ziel ist, das Thema Kinderschutz in die grundständige Ausbildung aller relevanten Berufe zu bringen. Für die Entwicklung und Umsetzung wiederkehrender Dunkelfelderhebungen soll ein Zentrum für Prävalenzforschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen eingerichtet werden. Darüber hinaus enthält die Agenda Maßnahmen für spezifische und bedarfsgerechte Hilfen für Betroffene von sexualisierter Gewalt, für eine kindgerechtere Justiz, den Schutz vor sexueller Ausbeutung mittels digitaler Medien sowie spezifische Hilfen für minderjährige Betroffene des Menschenhandels.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus: „Wir alle im Nationalen Rat sind davon überzeugt, dass wir mehr zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung erreichen müssen und können! Ich freue mich, dass wir uns heute auf eine Agenda für die nächsten beiden Jahre verständigt haben, die auch konkrete Maßnahmen vorsieht. Dieses Thema gerade in der Ausbildung der entsprechenden Berufe zu etablieren, finde ich äußerst wichtig. Genauso, wie den Schutz vor sexueller Ausbeutung durch digitale Medien zu verbessern – schließlich haben die allermeisten Kinder und Jugendlichen irgendwann ein Smartphone. Wir alle müssen uns weiterhin gemeinsam anstrengen, um Strukturen und Abläufe zu verbessern. Dafür werden wir viel Überzeugungsarbeit leisten und als Verantwortliche an unsere Grenzen gehen müssen. Mit weniger dürfen und wollen wir uns aber nicht zufriedengeben.“

Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM):

„Ich freue mich, dass wir mit dem Nationalen Rat ein Gremium für den kontinuierlichen Austausch haben, damit wir voneinander lernen, welche Konzepte für Schutz und Hilfe in Institutionen, in Netzwerken und vor Ort funktionieren und diese zielgerichtet eingeführt, ausgebaut und umgesetzt werden. Indem wir das Thema sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vielfältig besprechbar machen, schränken wir Räume für Täter und Täterinnen ein. Im Nationalen Rat sind Expertise und Entscheider:innen vertreten, die für die Verbesserung von Schutz und Hilfen auf verschiedenen Ebenen Verantwortung tragen. Als Unabhängige Beauftragte ist es mir wichtig, mich hierfür stark zu machen.

Über den Nationalen Rat

Der Nationale Rat setzt sich für ein dauerhaftes und entschlossenes Handeln zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung und für bessere Hilfestrukturen für Betroffene ein. Beteiligt sind Verantwortungsträgerinnen und -träger aus Politik, Wissenschaft, Fachpraxis, Zivilgesellschaft sowie Betroffene. Das Gremium auf Spitzenebene mitsamt fünf thematischer Arbeitsgruppen umfasst insgesamt über 300 Mitwirkende. Seit der Konstituierung im Dezember 2019 durch das Bundesfamilienministerium und dem damaligen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs arbeitet der Nationale Rat zu den Schwerpunktthemen Schutz, Hilfen, kindgerechte Justiz, Schutz vor Ausbeutung, internationale Kooperation sowie Forschung und Wissenschaft. Im Koalitionsvertrag hat die Regierungskoalition vereinbart, den Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt zu verstetigen.

Weitere Informationen unter: www.nationaler-rat.de

Die „Agenda 2022-2023“ sowie die „Gemeinsame Verständigung“ des Nationalen Rates finden Sie unter:

www.nationaler-rat.de/Ergebnisse.de

www.bmfsfj.de

www.beauftragte-missbrauch.de

Quelle: Pressemitteilung Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 29.06.2022

„Mit der Streichung des Bundesprogramms Sprach-Kitas lässt der Bund 6.900 Kitas – und somit jede achte – im Regen stehen und mit ihnen 500.000 Kinder und 7.500 Fachkräfte. Betroffen sind hiervon vor allem Kitas in sozialen Brennpunkten, in denen Kinder ganz besonders auf Unterstützung angewiesen sind. Damit zeigt die Bundesregierung ihr wahres Gesicht“, kommentiert Heidi Reichinnek, Kinder- und Jugendpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, das von der Bundesregierung verkündete Ende des Bundesprogrammes „Sprach-Kitas“. Reichinnek weiter:

„Die Corona-Krise schlägt immer noch voll durch mit erhöhten Förderbedarfen auch im sprachlichen Bereich. Hinzu kommen neue Bedarfe durch den Krieg in der Ukraine. Aber Familienministerin Lisa Paus fällt dazu nichts Besseres ein, als erst einmal die Sprach-Kitas zu kürzen und die Zukunft des Gute-Kita-Gesetzes vor einem angekündigtem Krisenwinter in Frage zu stellen. Das ist soziale Kälte, die wir nicht hinnehmen werden.

DIE LINKE wehrt sich gegen die angekündigten Kürzungen. Statt eines Abbaus im sozialen Bereich brauchen wir eine zukunfts- und krisenfeste Infrastruktur auch im Bereich der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Förderung. Daher streiten wir für ein Kita-Qualitätsgesetz. Der Bund muss sich endlich dauerhaft und verlässlich an den steigenden Kitakosten beteiligen und soziale Maßstäbe formulieren. Frau Paus muss liefern.“

Quelle: Pressemitteilung Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag vom 12.07.2022

Der Bundesrat hat am 8. Juli 2022 die ersatzlose Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche in Paragraf 219a Strafgesetzbuch gebilligt. Der Bundestag hatte die Aufhebung am 24. Juni 2022 beschlossen.

Künftig können Ärztinnen und Ärzte ausführlich über Möglichkeiten zum Abbruch einer Schwangerschaft informieren, ohne mit einer strafrechtlichen Verfolgung rechnen zu müssen. Schwangere sollen so einfacher als bisher Ärztinnen und Ärzte für eine Abtreibung finden können, heißt es in der amtlichen Gesetzesbegründung.

Irreführende Werbung bleibt verboten

Geändert wird auch das Heilmittelwerbesetz: Es erfasst künftig sowohl medizinisch indizierte als auch medizinisch nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche. Irreführende oder abstoßende Werbung für alle Arten von Schwangerschaftsabbrüchen bleibt damit weiter verboten. So werde sichergestellt, dass die Aufhebung des Werbeverbots nicht zu Lücken im grundrechtlich gebotenen Schutzkonzept für das ungeborene Leben führt, heißt es in der Gesetzesbegründung.

Auch das Schwangerschaftskonfliktgesetz wird ergänzt. Demnach ist es Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, Krankenhäusern sowie Ärztinnen und Ärzten gestattet, sachlich und berufsbezogen über die Durchführung einer Abtreibung zu informieren, die unter den Voraussetzungen von Paragraf 218a Absatz 1 bis 3 Strafgesetzbuch erfolgt.

Rehabilitation früherer Verurteilter

Durch eine neue Regelung im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch sollen strafgerichtliche Urteile, die seit dem 3. Oktober 1990 wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ergangen sind, aufgehoben und noch laufende Verfahren eingestellt werden, um die verurteilten Ärztinnen und Ärzte zu rehabilitieren.

Entschädigung für verurteilte Homosexuelle

Zudem verlängert das Gesetz die Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen für Personen, die nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt worden waren, bis einschließlich 21. Juli 2027.

Unterzeichnung, Verkündung und Inkrafttreten

Das Gesetz wird nun über die Bundesregierung dem Bundespräsidenten zur Unterzeichnung zugeleitet. Es soll am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

Quelle: Beschluss Plenarsitzung des Bundesrates am 08.07.2022

Die Fraktion Die Linke fordert in einem Antrag (20/2688) weitere Erleichterungen für junge Eltern. Konkret geht es ihr darum, einen 28-tägigen Elternschutz für den zweiten Elternteil ab Geburt des Kindes einzuführen. Um frühzeitig den Aufbau einer engen Bindung zwischen dem zweiten Elternteil und dem neugeborenen Kind zu ermöglichen sowie eine partnerschaftliche Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zu erreichen, seien weitere verbindliche Maßnahmen und Anreize notwendig, schreiben die Abgeordneten.

Sie verlangen von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (2019/1158) umzusetzen, das bestehende Mutterschutzgesetz zu einem Elternschutzgesetz weiterzuentwickeln und darin einen Rechtsanspruch auf Elternschutz festzuschreiben, der eine bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung von 28 Kalendertagen für den zweiten Elternteil oder für eine von der leiblichen Mutter benannte soziale Bezugsperson ab Geburt des Kindes vorsieht. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass erstens eine Entgeltfortzahlung von 100 Prozent geleistet werde. Zweitens müsse ein Rückkehrrecht auf den früheren Arbeitsplatz und drittens ein Diskriminierungs- und Kündigungsverbot im Zusammenhang mit dem Elternschutz geschaffen werden.

Quelle: Pressemitteilung hib – heute im Bundestag Nr. 364 vom 11.07.2022

Aus der Sicht von Sachverständigen für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik wird das Aufstiegsversprechen, jedem Kind das Erklettern der Erfolgsleiter durch hochwertige Bildung zu ermöglichen, in Deutschland nicht eingelöst. Stattdessen sei zu erkennen, dass Armut das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen präge und sich dies auch auf das Bildungssystem auswirke, hieß es übereinstimmend während eines öffentlichen Fachgespräches des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung am Mittwochabend zum Thema „Hochwertige Bildung als nachhaltiges Mittel gegen Armut und soziale Ungleichheit im Sinne der SDGs“.

Seit 2005 sei in Deutschland der Zustand zu beklagen, dass konstant jedes fünfte Kind in Armut aufwächst, sagte Antje Funcke, Senior Expert für Familie und Bildung bei der Bertelsmann Stiftung. 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche seien davon betroffen. „Armut ist für diese Kinder häufig ein Dauerzustand, weil es sehr schwierig ist, dem SGB II-Bezug zu entkommen“, sagte Funke. Besonders betroffen seien Kinder in Alleinerziehenden- oder in Mehr-Kind-Familien.

Seit dem Pisa-Schock im Jahr 2001 sei es aber auch im Bildungssystem kaum gelungen, den engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzulösen. Stattdessen habe der vor zwei Wochen veröffentlichte Nationale Bildungsbericht erneut konstatiert, „dass dieser Zusammenhang anhaltend stark ausgeprägt ist“. Die Kompetenzunterschiede bei Kindern aus dem höchsten und dem niedrigsten Sozialstatus seien größer geworden, sagte die Expertin der Bertelsmann-Stiftung. Viertklässler aus privilegierten Elternhäusern hätten in Mathematik und Deutsch etwa ein Jahr Leistungsvorsprung vor Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Haushalten. Corona werde diese Schere noch weiter aufgehen lassen, sagte Funcke. Das Sprichwort: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ gelte mit Blick auf das Bildungssystem in Deutschland leider eher als der Satz: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“

Amir Sallachi, Jugendexperte beim Team Kinderarmut der Bertelsmann Stiftung und Mitglied im Jugendbeirat der Stadt Krefeld, nannte die Aufklärung der Kinder über ihre Rechte „fundamental“. Das sei eine Grundlage dafür, dass sich Kinder und Jugendliche großangelegt in kommunalen Strukturen engagieren können, befand er. Gerade in der Corona-Pandemie hätten sich bestehende Beteiligungsformate nicht als krisenfest erwiesen. Kinder- und Jugendparlamente, Jugendräte und andere Organisationen hätten keinen Kontakt zu denen gehabt, die sie vertreten sollen. „Gerade in solch einer Krise muss aber die Stimme der jungen Menschen dringend Gehör finden“, betonte Sallachi.

Michael Klundt, Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal, verwies auf eine Studie von 2018, wonach die Einkommensungleichheit in den höchstentwickelten Industriestaaten seit den 1990er Jahren stetig zugenommen habe, während die „soziale Mobilität“ ins Stocken geraten sei. Im OECD-Durchschnitt benötigte der Studie zufolge ein Mensch für die Entwicklung „von unten in die Mitte der Gesellschaft“ fünf Generationen. Während es in den skandinavischen Staaten „nur“ zwei bis drei Generationen brauche, liege der Wert für Deutschland bei sechs Generationen, also 180 Jahren, sagte Klundt. „Es geht hier nicht darum, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden“, so der Wissenschaftler. Um im Bilde zu bleiben, gehe es eher darum, vom Tellerwäscher zum Koch zu werden.

Aus seiner Sicht beginnt das Problem schon bei der Kita. Zum einen gebe es nicht genug Plätze. Zum anderen würden aber auch Familien im unteren Einkommensbereich den höchsten Einkommensanteil von allen Einkommensgruppen für die Kitakosten aufwenden müssen. Weiter gehe es in der Schule, wo laut Klundt spätestens mit Beginn der Sekundarstufe die besten Schüler aus armen Haushalten mit geringem Bildungsniveau abrutschten. Aus ökonomischer Sicht sei das eine Vergeudung menschlicher Ressourcen, wenn qualifizierte Menschen entmutigt und nicht weiter gefördert würden. In Deutschland, so der Experte weiter, gebe es im OECD-Vergleich überproportional viele Abstiege im Verhältnis zum Bildungsabschluss der eigenen Eltern und unterproportional viele Aufstiege. Das Bildungssystem verstärke also die sozialen Unterschiede, sagte Klundt.

Quelle: Pressemitteilung hib – heute im Bundestag Nr. 360 vom 07.07.2022

Nach Auswertungen der Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit sind im Dezember 2021 rund 43.000 Menschen durch das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“gefördert worden. Das schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/2520) auf eine Kleine Anfrage (20/2071) der Fraktion Die Linke. Die durchschnittlichen Ausgaben je Förderung pro Monat lagen im Jahr 2020 (aktuellste Daten) demnach bei 1.356 Euro. Unter Berücksichtigung des Passiv-Aktiv-Transfers lagen sie bei 1.764 Euro. Zu dieser Berechnung schreibt die Regierung weiter: „Hierbei ist zu beachten, dass die Dauerermittlung in der Regel auf Basis der beendeten Förderungen stattfindet. Diese sind, da die Förderung bis zu fünf Jahre laufen kann, für das Instrument ‚Teilhabe am Arbeitsmarkt‘ noch nicht aussagekräftig. Erst wenn ein Mix aus vollständig absolvierten Förderungen und vorzeitig beendeten Förderungen besteht, kann damit verlässlich gerechnet werden.“

Quelle: Pressemitteilung hib – heute im Bundestag Nr. 357 vom 06.07.2022

Wenn der Solidaritätszuschlag wegfallen würde, müsste nach Schätzung der Bundesregierung der Höchststeuersatz auf 55,5 Prozent angehoben werden, um den Aufkommenswegfall bei der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer zu kompensieren. Dies teilt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/2408) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (20/1874) mit. Daraus geht weiter hervor, dass das Kassenaufkommen am Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer und zur veranlagten Einkommensteuer im Mai 2022 rund 495 Millionen Euro betragen hat.

Auf Fragen der Fraktion Die Linke teilt die Bundesregierung mit, dass sich das Realeinkommen je Einwohner im Zeitraum von 1991 bis 2021 in Deutschland von 12.566 Euro auf 14.528 Euro erhöht habe. Dies sei eine Gesamtsteigerung von 15,6 Prozent beziehungsweise eine jahresdurchschnittliche Erhöhung um knapp 0,5 Prozent.

Quelle: Pressemitteilung hib – heute im Bundestag Nr. 342 vom 04.07.2022

Die Bundesländer sind sehr unterschiedlich darauf vorbereitet, den Rechtsanspruch zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter umzusetzen. Neue Berechnungen zeigen, dass die ostdeutschen Länder bis 2030 jedem Kind einen Ganztagsplatz bieten können und sich daher auf Qualitätsverbesserungen konzentrieren sollten. Im Westen müssen mehr als eine Million Plätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch flächendeckend zu erfüllen.

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsförderung in der Grundschule und im Hort erfordert deutlich mehr Fachkräfte, als bis 2030 zur Verfügung stehen. Im Westen sind 76.000 Fachkräfte zusätzlich erforderlich, wenn bis Ende des Jahrzehnts für jedes Kind ein Platz mit einer Förderung von 40 Wochenstunden vorhanden sein soll.

In den ostdeutschen Bundesländern steht zwar genügend Personal zur Verfügung, damit jedes Kind einen Platz erhalten kann. Wir empfehlen allerdings – über den Rechtsanspruch hinaus – die ostdeutschen Schulen und Horte mit so viel Personal auszustatten, dass sie die bessere Personalausstattung im Westen erreichen. Dafür wären zusätzlich 26.000 Fachkräfte erforderlich.

Für eine flächendeckende und personell gut ausgestattete Ganztagsförderung würden also bis 2030 insgesamt über 100.000 pädagogische Mitarbeiter:innen mehr benötigt werden, als voraussichtlich zur Verfügung stehen. Das zeigt unser neuer „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022“.

Quelle: Pressemitteilung Bertelsmann Stiftung vom 05.07.2022, gekürzt

Die starken Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln belasten insbesondere Familien mit niedrigeren Einkommen stark. Zugleich bewirken aber auch die beiden von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungspakete für diese Haushalte einiges, vorausgesetzt beide Elternteile sind erwerbstätig. So summieren sich die Entlastungen bei einer Familie mit zwei erwerbstätigen Erwachsenen, zwei Kindern und einem unterdurchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von 2000 bis 2600 Euro auf rund 64 Prozent der absehbaren zusätzlichen Belastungen, die in diesem Jahr durch stark verteuerte Energie und teurere Lebensmittel entstehen. Bei einer vergleichbaren Familie mit einem mittleren Einkommen von 3600 bis 5000 Euro netto sind es 54 Prozent, zeigen neue Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.* Spürbar niedriger fällt allerdings die Entlastung bei Familien aus, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist: Sie liegt bei einer vierköpfigen Familie mit 2600-3600 Euro Nettoeinkommen bei 44 Prozent und somit niedriger als bei einem Paar ohne Kinder, doppelter Erwerbstätigkeit und mittlerem Einkommen (51 Prozent). Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern und einem mittleren Einkommen für diesen Haushaltstyp von 2000-2600 Euro sind es 48 Prozent. Bei alleinlebenden Erwerbstägigen mit niedrigen Nettoeinkommen von bis zu 900 Euro werden die Mehrbelastungen durch die starken Preisanstiege bei Energie und Lebensmitteln zu rund 75 Prozent ausgeglichen, bei jenen mit sehr hohen Einkommen von mehr als 5000 Euro zu 38 Prozent (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version dieser PM bzw. Tabelle 3 in der Studie; Links unten).

Auch Menschen in der Grundsicherung werden nach der neuen IMK-Analyse relativ stark entlastet: Die beschlossenen staatlichen Maßnahmen fangen bei ihnen rund 90 Prozent der zusätzlichen Kosten für stark verteuerte Energie und Nahrungsmittel auf – allerdings bei grundsätzlich sehr engen finanziellen Spielräumen, weshalb „auch eine geringe Belastung unmittelbar zu Konsumeinschränkungen führen dürfte“, schreiben Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Katja Rietzler und Dr. Silke Tober in ihrer Studie.

Während die aktuellen Entlastungspakete nach dem Urteil der Forschenden damit bei Erwerbstätigen und Empfängerinnen und Empfängern von Sozialleistungen „im Großen und Ganzen eine umfangreiche und sozial weitgehend ausgewogene Entlastung“ bewirkten, konstatieren sie bei Nichterwerbstätigen, vor allem Rentnerinnen und Rentnern, eine „soziale Schieflage.“ So beträgt die Entlastungswirkung bei Alleinlebenden, die im Ruhestand sind und ein niedriges Einkommen unter 900 Euro netto im Monat haben, gerade einmal 10 Prozent. 46 Prozent werden ausgeglichen, falls für diesen Haushalt ein Wohngeld-Anspruch besteht.

Mit Blick auf Nichterwerbstätige mit geringem Einkommen, beispielsweise Menschen im Ruhestand etwas oberhalb der Sozialleistungsgrenze, konstatieren Dullien, Rietzler und Tober daher einen akuten Nachholbedarf bei den Maßnahmen. Und auch wenn die Entlastungen für die meisten Haushalte mit Erwerbstätigen in diesem Jahr „spürbar“ ausfielen, müsse die Bundesregierung bereit sein, für das kommende Jahr noch einmal nachzulegen. Zwar prognostiziert das IMK aktuell einen Rückgang der Inflationsrate von knapp 7 Prozent in diesem Jahr auf knapp 3 Prozent 2023. Damit blieben die Preise insbesondere für Waren des Grundbedarfs aber hoch und es bestünde auch im kommenden Jahr eine erhebliche Zusatzbelastung durch erhöhte Energie- und Nahrungsmittelpreise.         

Die neue Studie aktualisiert und erweitert eine Untersuchung vom April. Nun konnten die Be- und Entlastungen für mehr – insgesamt 11 – Haushaltstypen errechnet werden, die sich in Personenzahl, Einkommen und Erwerbskonstellation unterscheiden. Zudem berücksichtigt das IMK neben den Energiekosten auch die Zusatzbelastungen durch die deutlich höheren Nahrungsmittelpreise. Schließlich lässt sich die Wirkung der staatlichen Maßnahmen mittlerweile noch genauer kalkulieren, weil anders als im April beispielsweise die Details der Regelungen für 9-Euro-Ticket oder Tankrabatt bekannt sind. Grundsätzlich hat sich das Gesamtbild gegenüber den früheren Berechnungen nur geringfügig verändert. Veränderungen gegenüber der ersten Analyse vom April ergeben sich vor allem daraus, dass die Preise für Energie und Nahrungsmittel noch stärker gestiegen sind als damals absehbar war und sich die April-Analyse auf Energiekosten konzentrierte.

Die Belastung für die unterschiedlichen Haushaltstypen haben die Forschenden ermittelt, indem sie die haushaltsspezifischen Ausgaben für verschiedene Kategorien, also die jeweils repräsentativen Warenkörbe, aus der amtlichen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 fortschrieben und für 2022 die Belastung durch jene Preissteigerung, die oberhalb der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent lag, errechneten. Zugrunde gelegt ist dabei die IMK-Prognose für die Preisentwicklung, die Ende Juni veröffentlicht wurde.

Den Belastungen gegenüber gestellt wurden die Entlastungen aus den beiden Paketen der Bundesregierung. Diese bestehen aus Änderungen am Einkommensteuerrecht (wie der Erhöhung des Grundfreibetrags und des Arbeitnehmer-Pauschbetrags), den Entlastungen bei Energiepreisen (durch Abschaffung der EEG-Umlage sowie die vorübergehende Senkung von Energiesteuern auf Kraftstoffe), der vorübergehenden Verbilligung von ÖPNV-Tickets sowie Direktzahlungen wie Energiepreispauschale und Kinderbonus.

Der größte Teil der Entlastungen ergibt sich laut den IMK-Berechnungen aus Änderungen des Einkommensteuerrechts sowie aus Energiepreispauschale und Kinderbonus. Haushalte mit geringen Einkommen profitieren dabei vor allem von den Pauschalzahlungen, Haushalte mit höheren Einkommen vor allem von den Erhöhungen von Freibeträgen und Pauschalen im Steuerrecht.

Die Entlastungspakete der Bundesregierung – ein Update. IMK Policy Brief Nr. 126, Juli 2022

Quelle: Pressemitteilung Hans-Böckler-Stiftung vom 07.07.2022

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, ist arm oder armutsgefährdet. Wer mindestens doppelt so viel verdient wie die Person genau in der Mitte der Verteilung, ist reich. Auf dieser in Statistik und Wissenschaft weit verbreiteten Konvention beruhen die meisten Aussagen darüber, wie der gesellschaftliche Wohlstand verteilt ist. Aber könnte es nicht sein, dass 60 Prozent immer noch nicht für einen erträglichen Lebensstandard reichen? Und was ist mit den Vermögen: Warum sollte jemand arm sein, der oder die zwar nur ein geringes Einkommen, aber dafür ein eigenes Haus hat? Sind, andererseits, Beschäftigte mit hohem Lohn, aber ohne nennenswertes Vermögen, wirklich schon reich?

Die Sozialforscherin Dr. Irene Becker und Dr. Tanja Schmidt und Dr. Verena Tobsch vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) in Berlin haben Begriffe wie „arm“, „prekär“, „knappe Teilhabe“ und „reich“ neu definiert und stellen sie auf den empirischen Prüfstand. In ihrer Studie haben sie mehr Daten einbezogen als üblich: nämlich auch Vermögen, Spar- und Ausgabeverhalten. Auf dieser Basis lassen sich – anhand von in den Daten vorgefundener Muster – Gruppen bilden. Beispiel: Die Ausgaben für Nahrungsmittel steigen im unteren Bereich der Verteilung mit zunehmendem Einkommen stark an. Zusätzliches Einkommen wird in Haushalten mit wenig Geld überwiegend zur Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse aufgewendet, der Rückstand gegenüber Haushalten mit mittlerem Einkommen zuerst auf diesem Gebiet verringert. Ab einem gewissen Punkt wird die Kurve jedoch flacher. Bis zu dieser „Sättigungsgrenze“ besteht nach der Interpretation der Forscherinnen ein „ungedeckter Bedarf“. Vermögen und Vermögensbildung durch Sparen spielen in diesem Bereich der Verteilung keine Rolle – im Schnitt wird „entspart“: Ersparnisse werden aufgelöst oder Geld wird geliehen.

Nach den Berechnungen der Forscherinnen mit Daten der repräsentativen Einkommens- und Verbrauchsstichproben (EVS) des Statistischen Bundesamts endet dieser als Armut klassifizierte Abschnitt der Verteilung bei einem Einkommen von rund 65 Prozent des mittleren Einkommens, sofern ein allenfalls geringes Vermögen vorhanden ist. Die Armutsgrenze ist also nicht sehr weit von den üblicherweise verwendeten 60 Prozent entfernt ist. Mit Einkommen ist hier das sogenannte Nettoäquivalenzeinkommen gemeint, das heißt: Abgaben an Staat und Sozialversicherung sind bereits abgezogen, Sozialtransfers berücksichtigt, und durch Gewichtungsfaktoren werden Unterschiede in der Haushaltsgröße berücksichtigt, sodass sich etwa Ein- und Vierpersonenhaushalte sinnvoll vergleichen lassen.
 
Oberhalb der Armut sehen Becker, Schmidt und Tobsch einen Prekaritätsbereich. Sie meinen damit eine finanzielle Ausstattung, die für die Befriedigung grundlegender physischer Bedürfnisse ausreicht, mit der eine Teilnahme am „normalen“ gesellschaftlichen Leben aber aus materiellen Gründen erschwert ist. Als Indikator dienen hier die Ausgaben für Bekleidung und soziokulturelle Teilhabe. Das können zum Beispiel die Kosten für Handy, Internet oder einen Cafébesuch sein. Ähnlich wie bei den Nahrungsmitteln am unteren Ende der Verteilung zeigt sich hier ein großer ungedeckter Bedarf, der erst „an der Schwelle zum Übergang in den breiten Teilhabebereich“ eine „vorläufige Sättigung“ findet. Diese Schwelle verläuft bei etwa 80 Prozent des mittleren Einkommens.

Finanzielle Sicherheit und entsprechende gesellschaftliche Teilhabe können sich statt aus laufendem Einkommen auch aus Rücklagen speisen. So wird bei der Berechnung der Zahl der Haushalte in prekärer Lage eine sehr kleine Gruppe ausgeklammert, die über Vermögen von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens verfügt. In ihrem Fall griffe der bloße Blick aufs Einkommen also zu kurz. Mit gerade einmal zwei Prozent aller Haushalte im Prekaritätsbereich fällt diese Konstellation allerdings gesamtgesellschaftlich kaum ins Gewicht.
 
Die Mittelschicht lässt sich anhand von Einkommen, Vermögen, Ersparnisbildung und Ausgabeverhalten in drei Gruppen aufteilen. Die Wissenschaftlerinnen sprechen von knapper, guter und sehr guter Teilhabe. Dafür gelten die folgenden Einkommensgrenzen, wobei wie bei allen Berechnungen das mittlere (Median) Nettoäquivalenzeinkommen den Bezugspunkt bildet:

Knappe Teilhabe: 80 bis 105 Prozent (falls erhebliche Ersparnisse/Vermögenswerte – konkret: von mehr als dem Dreifachen des mittleren Jahreseinkommens – vorliegen: 70 bis 95 Prozent),

Gute Teilhabe: 105 bis 150 Prozent (95 bis 150 Prozent im Falle erheblicher Vermögen),

Sehr gute Teilhabe: 150 bis 200 Prozent (150 bis 175 Prozent im Falle erheblicher Vermögen).

Politisch wie wissenschaftlich relevanter – und umstrittener – ist jedoch die Frage, wo der letzte Abschnitt der Verteilung beginnt: der Reichtum. In den Worten der Forscherinnen: eine „reiche Ressourcenausstattung“, die durch Einkommen und Vermögen „einen weit überdurchschnittlichen Lebensstandard“ bei gleichzeitig weiterem Vermögensaufbau ermöglicht.

Ausgaben für bestimmte Produktgruppen oder Aktivitäten taugen wenig zur Bestimmung von Reichtum. Denn „hohe Einkommen und Vermögen bieten die Möglichkeit, Individualisierung und Differenzierung je nach Präferenzen ohne Einschränkungen auszuleben, was sich in der Ausgabenstruktur widerspiegelt“. Lediglich die Höhe der Konsumausgaben insgesamt kommt als Indikator infrage. Bei Menschen, die das Doppelte bis Zweieinhalbfache des mittleren Einkommens verdienen, lagen sie 2018 im Schnitt um 76 Prozent über dem in der gesellschaftlichen Mitte Üblichen. Bei noch höheren Einkommen betrug der Wert 101 Prozent, wobei Personen mit höherem Vermögen mehr konsumieren. Auch die laufende Ersparnis ist im obersten Einkommenssegment beträchtlich. So legen beispielsweise Alleinstehende mit dem Doppelten bis Zweieinhalbfachen des mittleren Einkommens im Schnitt gut 1300 Euro im Monat zurück.
 
Konsumausgaben und Ersparnis steigen nach den Auswertungen der Forscherinnen im Einkommensbereich um das Doppelte des Mittelwerts sehr dynamisch an. Insofern liegt eine Grenzziehung zwischen „sehr guter Teilhabe“ und „Reichtum“ in diesem Abschnitt nahe – was wiederum für die gewöhnlich benutzte 200-Prozent-Schwelle als Reichtumsgrenze spricht. Letztlich erscheint Becker, Schmidt und Tobsch der Wert von 175 Prozent als angemessen, sofern der entsprechende Haushalt zusätzlich wenigstens drei mittlere Jahreseinkommen auf der hohen Kante hat. Denn bereits Haushalte, die beim Einkommen unter der 200-Prozent-Marke liegen, ähneln in vieler Hinsicht den reicheren, sofern sie über größeres Vermögen verfügen.

Die Wissenschaftlerinnen ziehen das Fazit: Angesichts ihrer „theoretisch-empirisch fundiert“ abgeleiteten Ergebnisse könnten die Aussagen der Armuts- und Reichtumsforschung sowie der „etablierten Sozialbericherstattung“ nicht mehr als „statistische Konstrukte auf der Basis willkürlicher Setzungen gedeutet und damit abgetan werden“. Eher seien die bisher üblichen Grenzziehungen für Deutschland zu vorsichtig: „zu niedrig hinsichtlich der Armut und zu hoch bei der Erfassung von Reichtum“.

Wohlstand, Armut und Reichtum neu ermittelt, Study der HBS-Forschungsförderung Nr. 472, Juli 2022

Quelle: Pressemitteilung Hans-Böckler-Stiftung vom 06.07.2022

Beim Treffen der so genannten „konzertierten Aktion“ wollen sich am Montag Bundesregierung und Sozialpartner über die aktuelle Entwicklung von Konjunktur und Inflation austauschen. Eine Forderung ist, dabei über weitere finanzpolitische Entlastungsmaßnahmen für Privathaushalte zu sprechen. Das ist richtig, da die Rekordinflation Haushalte bis in die Mitte der Einkommensverteilung hinein unter Druck setzt. Dieser Druck führt zu einer tiefen Verunsicherung der Gesellschaft, die durch die Corona-Pandemie bereits erschöpft ist. Vermieden werden sollten aber teure Entlastungen mit verteilungspolitisch fragwürdigen Folgen wie etwa eine allgemeine Absenkung der Einkommensteuer. Zu diesen Ergebnissen kommen Prof. Dr. Bettina Kohlrausch und Prof. Dr. Sebastian Dullien in einer neuen Kurzstudie. Darin skizzieren die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis repräsentativer Befragungsdaten die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation. Und sie beleuchten verschiedene Entlastungsvorschläge, die in letzter Zeit gemacht wurden.*  

Die Belastung durch die starke Teuerung ist für Haushalte bis in die breite Mitte der Gesellschaft hoch. Das zeigt unter anderem die aktuelle Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Rund ein Viertel der befragten gut 6200 Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden gab dabei Ende April an, die eigene finanzielle Situation „äußerst stark“ oder „stark“ belastend zu finden und sich „große Sorgen“ um die eigene wirtschaftliche Situation zu machen. Damit sind die Sorgen und Belastungen in Folge von Ukraine-Krieg und Inflation verbreiteter als auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, macht der Vergleich mit vorhergegangenen Befragungswellen deutlich. „Die aktuelle Krise ist somit unmittelbar in den Haushalten spürbar“, betonen die Soziologin und der Ökonom (detaillierte Ergebnisse der Erwerbspersonenbefragung und Abbildungen dazu finden Sie am Ende der PM verlinkt).

Die Belastungen sind ungleich verteilt, wobei sich stark verteuerte Lebensmittel und gestiegene Energiepreise unterschiedlich auswirken: Während die Energiepreise Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen beinahe gleich stark treffen, belasten die teureren Lebensmittel die unteren Einkommen deutlich stärker als die mittleren und oberen Einkommen. So berichteten von den Befragten mit niedrigeren Haushaltseinkommen bis maximal 2000 Euro netto monatlich 65 bis 75 Prozent von „äußersten“ oder „starken“ Belastungen durch die gestiegenen Lebensmittelpreise (siehe auch Abbildung 1 in der Kurzstudie; Link unten). „Besonders problematisch ist, dass dieser finanzielle Stress vor allem jene Haushalte mit oft ohnehin niedrigen Einkommen trifft, die bereits während der Corona-Pandemie überdurchschnittlich häufig Einkommenseinbußen hinnehmen mussten“, sagt WSI-Direktorin Kohlrausch.

Die großen finanziellen Belastungen der unteren Einkommensgruppen „schlagen als gesamtgesellschaftliche Vertrauenskrise auf“, warnen die Forschenden. Das Vertrauen in die Fähigkeit von Staat und Gesellschaft, die dargestellten finanziellen Belastungen aufzufangen und gerecht zu kompensieren, sei gering. So stehen Sorgen um eine Zunahme der sozialen Ungleichheit und um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft nach Ängsten vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges und Sorgen um die Inflation recht weit vorne im Ranking der Befragten. Knapp ein Drittel stimmte der Aussage zu, dass „sie sich vom Staat nicht ausreichend unterstützt fühlen“ und ein ebenso großer Anteil ist überzeugt, dass die Einkommensverteilung in Deutschland durch den Ukraine-Krieg noch ungleicher wird. Ein Viertel der Befragten teilte die Befürchtung, „dass die Gesellschaft so weit auseinanderdriftet, dass sie Gefahr läuft daran zu zerbrechen“.

Nur ein knappes Viertel der befragten Erwerbspersonen äußerte sich im April „zufrieden” oder „sehr zufrieden” mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung seit Beginn des Ukraine-Kriegs, wobei deutlich wird, dass vor allem soziale und finanzielle Aspekte mit der Unzufriedenheit korrelieren. „Die aktuell weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Management der Kriegsfolgen ist somit offenbar vor allem von Sorgen um soziale und finanzielle Fragen getrieben“, konstatieren Kohlrausch und Dullien. „Es geht bei der Umsetzung zielgenauer Entlastung somit nicht nur um schnelle und dringend notwendige Hilfen für untere und mittlere Einkommen, sondern auch um den Beweis der Handlungsfähigkeit des Staates beziehungsweise der Bundesregierung sowie den Nachweis, dass es gelingt diese Krise gerecht und mit Respekt vor den Schwächsten der Gesellschaft zu bewältigen“, lautet ihr Fazit zum aktuellen gesellschaftlichen Klima.

Damit müssten sich auch potenzielle Maßnahmen zur weiteren Entlastung der Privathaushalte daran messen lassen, ob sie geeignet sind, die besonders belasteten unteren und mittleren Einkommen zu unterstützen, und gleichzeitig als „sozial gerecht” wahrgenommen werden, schreiben Kohlrausch und Dullien. Exemplarisch beleuchten sie sechs aktuelle Vorschläge.

Steuer- und Beitragsfreiheit von Einmalzahlungen des Arbeitgebers

Dieser Ansatz wurde bereits mit dem Corona-Bonus in der Pandemie praktiziert. Durch eine solche Maßnahme würde der Staat bei solchen Einmalzahlungen netto quasi „etwas drauflegen“. Dies dürfte für die Tarifparteien solche Zahlungen relativ zu Tabellensteigerungen attraktiver machen.

Wenn dadurch pauschale Einmalzahlungen gewährt werden, profitierten prozentual Geringverdiener von den Zahlungen der Arbeitgeber stärker als jene mit hohen Einkommen. Fiskalpolitisch, also aus Sicht des Staates, ist allerdings die Entlastung bei Bezieherinnen und Bezieher höherer Einkommen tendenziell größer, weil diese einen höheren Grenzsteuersatz zahlen und deshalb die Mindereinnahmen durch die Steuerbefreiung bei Ihnen entsprechend höher sind, analysiert Ökonom Dullien. „Ein Problem ist auch, dass den Sozialversicherungen Einnahmen entgehen und deshalb – etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung – höhere Beitragssteigerungen notwendig werden könnten.“ Zuletzt bestehe das Risiko, dass durch den Anreiz zu Einmalzahlungen statt dauerhafter, tabellenwirksamer Lohnerhöhungen die Tabellenanstiege zu gering ausfallen und so deutlich hinter den Preissteigerungen zurückbleiben. „Dies könnte eine Bugwelle an Nachholbedarf erzeugen, der sich in der Notwendigkeit sehr hoher Lohnsteigerungen in künftigen Jahren entlädt“, schreiben Kohlrausch und Dullien.

Staatliche Einmalzahlungen

Schon in den ersten beiden Entlastungspaketen hat die Regierung solche Zahlungen in Form der Energiepauschale (eine steuerpflichtige Zahlung an alle Erwerbstätigen) und des Kinderbonus´ (eine Zahlung an Empfängerinnen und Empfänger von Kindergeld, die mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird) eingesetzt. „Ein Vorteil dieser Zahlungen ist, dass Erwerbstätige mit geringem Verdienst sowohl relativ als auch in Euro gerechnet stärker profitieren als Besserverdienende“, heben die Forschenden hervor. Zudem würden diese Zahlungen nicht nur jene Beschäftigten erreichen, bei denen der Arbeitgeber eine Einmalzahlung gewährt beziehungsweise diese tariflich vereinbart wird. Auch Kleinselbständige würden profitieren. Auf jeden Fall sollten solche Einmalzahlungen noch einmal für jene Haushalte auf den Weg gebracht werden, die entweder bisher noch gar nicht von diesen Zahlungen profitiert haben (Rentnerinnen und Rentner, Studierende) oder rein auf Transfers angewiesen sind, empfehlen Kohlrausch und Dullien.

Anpassung des Regelsatzes zur Grundsicherung (Hartz IV)

Auch die Preise der Waren im Warenkorb von Menschen in der Grundsicherung haben deutlich angezogen und sind stärker gestiegen als der Regelsatz. Dessen turnusgemäße Anpassung findet erst wieder im Januar 2023 statt. „Da ohnehin die Regelsätze schon heute nicht armutsfest sind, bedeutet dies, dass viele Menschen de facto durch die hohe Inflation in die Armut gedrückt werden“, warnen die Forschenden. Ein Vorziehen der Anpassung würde diese Menschen im zweiten Halbjahr 2022 kurzfristig entlasten.

Abbau der „kalten Progression“ bei der Einkommensteuer

Diskutiert wird auch, den Einkommensteuertarif im Umfang der Inflation zu verschieben. Während der Grundfreibetrag seit 2010 deutlich stärker angehoben wurde, als die Preise gestiegen sind, gilt dies nicht für die übrigen Eckpunkte des Steuertarifs. Allerdings sei es eine politische Entscheidung, wer wie stark besteuert werden soll. „Die Verschiebung aller Tarifeckpunkte im Umfang der Inflation würde primär Besserverdienenden zugutekommen Diese würden sowohl in absoluten Euro-Beträgen wie auch relativ zu ihren Einkommen stärker entlastet als Geringverdienerinnen und -verdiener“, so Kohlrausch und Dullien. Außerdem würden all jene Haushalte leer ausgehen, die keine Einkommensteuer bezahlen. Schließlich wären die fiskalischen Kosten einer solchen Maßnahme sehr hoch, und sie wären nicht nur auf das Jahr 2022/2023 beschränkt, sondern würden auch in künftigen Jahren anfallen.

Mehrwertsteuersenkung

Denkbar wäre auch, die Mehrwertsteuer entweder für alle Umsätze oder speziell für Lebensmittel dauerhaft oder vorübergehend zu senken. Ein Vorteil wäre, dass prinzipiell eine niedrigere Mehrwertsteuer den Inflationsdruck dämpfen würde und so die Privathaushalte entlastet würden. Ein Problem an dem Vorschlag sei allerdings, dass nicht klar ist, in welchem Umfang tatsächlich der Handel die Mehrwertsteuersenkung auch an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben würde, analysieren Kohlrausch und Dullien. „Auch wäre die Entlastung nicht sehr zielgenau: In Euro gerechnet würden Hocheinkommenshaushalte stärker profitieren, da diese üblicherweise teurere Produkte kaufen und mehr konsumieren“, schreiben sie. Eine dauerhafte Mehrwertsteuersenkung wäre für die öffentlichen Haushalte zudem sehr teuer, bei einer vorübergehenden Senkung käme es bei Auslaufen der Steuersenkung zu einem Preissprung und damit wieder höheren Inflationsraten.

Ein Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch

Wie von Sebastian Dullien und Prof. Dr. Isabella Weber von der University of Massachusetts vorgeschlagen, könnte ein Grundverbrauch von Gas im Preis gedeckelt und entsprechend staatlich subventioniert werden. Ein solcher Schritt würde die Haushalte mit Gasheizung entlasten, die gemessene Inflationsrate senken, aber gleichzeitig den Anreiz zum Energiesparen intakt lassen, weil der Verbrauch über dem Grundsockel weiter zum vollen Preis abgerechnet würde. Ein solcher Gaspreisdeckel könnte insbesondere bei einer Lieferunterbrechung russischen Gases und der daran anknüpfenden Weiterreichung gestiegener Gaspreise an die Privathaushalte ein wichtiges Element sein, Privatinsolvenzen und soziale Verwerfungen zu vermeiden, so Kohlrausch und Dullien.

Konzertierte Aktion: Weitere Entlastungen für Privathaushalte nötig. IMK Kommentar Nr. 7, Juli 2022

Quelle: Pressemitteilung Hans-Böckler-Stiftung vom 01.07.2022

  • Gesamtförderbetrag um 21 % höher als im Vorjahr
  • 77 % der in Vollzeit geförderten Personen hatten kein Einkommen
  • Erzieherinnen und Erzieher wurden am häufigsten gefördert

Im Jahr 2021 haben insgesamt 192 000 Personen Förderleistungen im Rahmen des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (Aufstiegs-BAföG) erhalten. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das knapp 8 % mehr als im Vorjahr (178 200). Mit dem Aufstiegs-BAföG werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Aufstiegsfortbildung durch Beiträge zu den Kosten der Bildungsmaßnahme und zum Lebensunterhalt finanziell unterstützt.

Fördersumme insgesamt um 21 % gestiegen

Im Jahr 2021 standen insgesamt 952 Millionen Euro an Förderleistungen im Rahmen des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG) zur Verfügung. Das waren 168 Millionen Euro oder 21 % mehr als 2020. Der Anstieg ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass seit der vierten Änderung des AFBG der Unterhalt bei einer Aufstiegsmaßnahme in Vollzeit mit einem Vollzuschuss gefördert wird. Zudem wurden im Rahmen der Gesetzesänderung der Kinderbetreuungszuschlag für Alleinerziehende wie auch die Zuschüsse bei Maßnahme- und Prüfungsgebühren angehoben.

Rund 788 Millionen Euro der Förderleistungen entfielen 2021 auf Zuschüsse und rund 164 Millionen Euro auf bewilligte Darlehen, von denen 122 Millionen Euro von den Förderungsberechtigten in Anspruch genommen wurden.

Die Zuschüsse wurden insbesondere zur Finanzierung der Lehrgangs- und Prüfungsgebühren (150 Millionen Euro), für den Lebensunterhalt (606 Millionen Euro), für den Kindererhöhungsbetrag (29 Millionen Euro) und zur Kinderbetreuung (3 Million Euro) ausgezahlt.

Die Darlehen wurden insbesondere für Lehrgangs- und Prüfungsgebühren (112 Millionen Euro), für den Lebensunterhalt (3 Millionen Euro) und für den Kindererhöhungsbetrag (8 Millionen Euro) von der Kreditanstalt für Wiederaufbau an die Geförderten überwiesen. Der Rest der Darlehen wurde bewilligt, aber nicht in Anspruch genommen.

Frauenanteil an geförderten Personen auf 43 % gestiegen

78 400 geförderte Personen machten 2021 eine Fortbildung in Teilzeit und 113 500 in Vollzeit. 77 % der Geförderten in Vollzeitfortbildung (87 600) bezogen kein Einkommen, bei weiteren 17 % lag das Jahreseinkommen unter 5 000 Euro.

82 000 der im Jahr 2021 geförderten Personen waren Frauen und 110 000 Männer. Der Frauenanteil lag somit bei 43 %, das waren 3 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.

Der nach wie vor niedrige Frauenanteil an den geförderten Personen hängt auch damit zusammen, dass viele der geförderten Fortbildungsberufe einen niedrigen Frauenanteil haben, zum Beispiel die Berufe Industriemeister/-in Metall, Maschinenbautechniker/-in und Elektro-Techniker/-in.

Erzieherinnen und Erzieher profitieren am stärksten vom Aufstiegs-BAföG

Auf Platz 1 der am meisten geförderten Berufe mit einer Fortbildungsmaßnahme nach dem Aufstiegs-BAföG standen 2021 wie im Vorjahr die staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erzieher. Ihre Zahl ist gegenüber dem Vorjahr um 26 % gestiegen, von 39 600 auf 50 100. Die Geförderten profitierten von der vierten Änderung des AFBG im Jahr 2020, durch welche beim Besuch einer Fachschule bessere Förderkonditionen im AFBG als früher im Schüler-BAföG ermöglicht wurden. Auf den Plätzen 2 und 3 folgten 2021 die Berufe Wirtschaftsfachwirt/-in mit 10 500 Geförderten und Industriemeister/-in Metall mit 10 300 Geförderten. Bei den Männern war der am häufigsten geförderte Fortbildungsberuf der Industriemeister Metall (9 800), bei den Frauen die staatlich anerkannte Erzieherin (41 500).

Weitere Informationen:

Detaillierte Daten und lange Zeitreihen zur Statistik der Aufstiegsfortbildungsförderung können in der Datenbank GENESIS-Online (21421) abgerufen werden.

Weitere Daten und Fakten zum gesamten Bereich der formalen Bildung von der Schule bis zur Berufsbildung und zum Studium finden Sie multimedial aufbereitet in unserem Digitalen Magazin. Thematisiert werden darin auch Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Bildungsbereich.

Quelle: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt vom 08.07.2022

Mehr Eheschließungen zwischen Frauen als zwischen Männern

Seit Einführung der “Ehe für alle” im Jahr 2017 wurden 65 600 Ehen zwischen Menschen gleichen Geschlechts geschlossen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, gab es bis Ende 2021 gut 32 300 Eheschließungen zwischen zwei Männern und knapp 33 300 Ehen zwischen zwei Frauen. Vor fünf Jahren, am 30. Juni 2017, stimmte der Deutsche Bundestag einem Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts zu. Das Gesetz trat dann am 1. Oktober 2017 in Kraft. Zuvor hatten gleichgeschlechtlichen Paare die Möglichkeit zur Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Ein Teil dieser eingetragenen Lebenspartnerschaften wurde seitdem in Ehen umgewandelt. Ohne Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften waren es bis Ende 2021 insgesamt 36 800 gleichgeschlechtliche Eheschließungen.

Zahl der gleichgeschlechtlichen Eheschließungen geht zurück 

Allein im Jahr 2021 wurden in ganz Deutschland 8 700 Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts geschlossen – 12,4 % weniger als 2020, als es gut 9 900 gleichgeschlechtliche Eheschließungen gab. Ohne Umwandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften in Ehen waren es knapp 7 800 gleichgeschlechtliche Eheschließungen im Jahr 2021, das waren 7,3 % weniger als 2020 (8 400). Der Rückgang fiel damit stärker aus als bei Eheschließungen zwischen Männern und Frauen: Deren Zahl ging um 3,9 % zurück von 363 400 im Jahr 2020 auf 349 100 im vergangenen Jahr. 

Gleichgeschlechtliche Ehen werden häufiger von Frauen geschlossen 

2021 wurden knapp 4 100 Ehen zwischen Männern geschlossen, 4 600 Ehen zwischen Frauen. Der Frauenanteil hat über die Jahre zugenommen: 2017 wurden 45 % der gleichgeschlechtlichen Ehen zwischen Frauen geschlossen, 2021 waren es 53 %. 

Weitere Informationen:

Weitere Ergebnisse zu Eheschließungen finden Sie auf unserer Themenseite.

Quelle: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt vom 05.07.2022

INFOS AUS ANDEREN VERBÄNDEN

„Der vorliegende Haushaltsentwurf 2023 ist eine schlechte Perspektive für arbeitslose Menschen!“, kommentiert der Präsident der Arbeiterwohlfahrt, Michael Groß, den Entwurf von Finanzminister Christian Lindner. Der Bundesfinanzminister plant einen Rückgang der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik von 4,8 Mrd. Euro auf 4,2 Mrd. Euro, obwohl schon diese Mittel nicht ausreichend waren, um dem Bedarf gerecht zu werden. „Aktive Arbeitsmarktpolitik ist wirksam und vor allem in Krisenzeiten ein wichtiges Instrument. Gerade diejenigen, die besonders auf Unterstützung angewiesen sind, dürfen mit den geplanten Einsparungen von 600 Millionen Euro in der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht einfach fallengelassen werden“, so Groß weiter. „Wir fordern den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil dazu auf, Wege für eine Weiterführung und Verbesserung der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu finden. Auch wenn die Bundesregierung angesichts der aktuellen Entwicklungen vor großen Herausforderungen steht und natürlich Maßnahmen ergreifen muss, ist es ein fatales Signal, ausgerechnet bei den Ärmsten zu sparen. Das wird das Gefühl sozialer Ungerechtigkeit in der Bevölkerung verstärken und kann zu Sprengstoff für den sozialen Zusammenhalt werden!“

Langzeitarbeitslose und gesellschaftliche Teilhabe besonders betroffen

Neben der Kürzung bei Maßnahmen der Förderung und Qualifizierung arbeitsloser Menschen wäre ein Rückgang der Förderung beim Teilhabechanceninstrument dramatisch. Dieses fördert unter anderem eine längerfristige, öffentlich geförderte Beschäftigung langzeitarbeitsloser Menschen. Viele Jahre hat die freie Wohlfahrtspflege für ein Instrument gekämpft, das ihnen die soziale Teilhabe ermöglicht und damit Brücken in die Erwerbstätigkeit baut. „Das Programm bietet vielen Menschen und ihren Familien Perspektiven und Teilhabechancen. Diese Einsparmaßnahme bedroht von Armut betroffene Menschen, die eine Begleitstruktur benötigen, um wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und die Vielfalt der Trägerlandschaft. Das Programm ist erfolgreich und kann auch dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken. Das ist insbesondere in der Pflege und der Kinderbetreuung ein wichtiger Faktor“, ergänzt Brigitte Döcker, Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbands. „Wir brauchen mehr solche Programme und nicht weniger, um mehr Menschen Teilhabe zu ermöglichen und den Arbeitsmarkt zu entlasten.“

In der AWO gibt es viele gute Erfahrungen mit dem Programm, das seit 2019 läuft und auch in der Pandemie erfolgreich durchgeführt wurde. Besonders wichtig ist dabei, dass die Förderzeiträume über einen längeren Zeitraum gehen und eine gute Begleitung für die Menschen sichergestellt ist.

Quelle: Pressemitteilung AWO Bundesverband e. V. vom 07.07.2022

Freiwilliges Engagement hat viele Formen. Ob digital, in der eigenen Nachbarschaft, der Kommune oder für ein globales Vorhaben. Mit dem Lotte-Lemke-Engagementpreis würdigt der AWO Bundesverband wieder kreatives und herausragendes Engagement in der AWO. Wesentliche Idee ist es, AWO-Projekte auszuzeichnen, die auf besondere und nachhaltige Weise einen Beitrag zum gelingenden Zusammenleben – lokal bis global – und zur Demokratiestärkung leisten. Das Engagement soll beispielhaft zeigen, wie die AWO-Grundwerte Solidarität, Toleranz, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit zeitgemäß gelebt werden können. Bis zum 30. September 2022 besteht die Möglichkeit, sich mit eigenen Projekten zu bewerben, oder andere für den Ehrenamtspreis zu nominieren.

 

Der Lotte-Lemke-Engagementpreis 2023 wird in drei Kategorien vergeben. Die Kategorie „Engagement unterstützt Wirksamkeit“ richtet sich an Projekte, die bereits seit Jahren erfolgreich umgesetzt werden. „Engagement fördert Innovationen“ sucht nach neuen Ideen und Projekten am Beginn der Umsetzung und in der Kategorie „Engagement stärkt Demokratie“ sucht die AWO nach Projekten, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Gesellschaft auf besondere Weise stärken. Bewerben werden können sich alle, die bei der AWO oder beim Jugendwerk der AWO ein ehrenamtliches Projekt begleiten oder leiten. Es können sich auch hauptamtlich initiierte oder begleitete Projekte bewerben, solange die Arbeit im Kern ehrenamtlich getragen wird. Auch Nominierungen für AWO-Projekte können eingereicht werden.

 

Die Gewinner*innen werden am 12. Januar 2023 auf dem AWO Neujahrsempfang prämiert. Der Preis ist mit 2.000,00 € dotiert und die ausgezeichneten Projekte erhalten die Möglichkeit, außerdem Hilfe bei der Projektentwicklung in Anspruch zu nehmen. Eine Bewerbung ist ab sofort über das Bewerbungsformular unter https://awo.org/llep-bewerbung, per Post an den AWO Bundesverband sowie per E-Mail an engagementpreis@awo.org möglich (Anhänge max. 10 MB, Formate PDF, JPG und PPTX). Alle Informationen zum Wettbewerb gibt es auf https://awo.org/lotte-lemke-engagementpreis.

Quelle: Pressemitteilung AWO Bundesverband e. V. vom 01.07.2022

Schon seit Wochen steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen dramatisch. In einem gemeinsamen Treffen mit den Träger*innen von Pflegeeinrichtungen schwor Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach diese nun auf eine schwere Corona-Welle mit vielen Todesopfern im Herbst ein. Ein neues Infektionsschutzgesetz wird von der Bundesregierung für Herbst angekündigt ohne inhaltlich konkret zu werden. Da der Minister Schutzmaßnahmen aber jetzt für notwendig hält, appellierte er am Dienstag an die Pflegeeinrichtungen, Corona-Schutzmaßnahmen künftig ohne gesetzliche oder behördliche Grundlagen per Hausrecht umzusetzen.

 

„Es ist absolut unverständlich, warum der Minister angesichts steigender Infektionszahlen im Sommer und erschreckender Prognosen für den Herbst nicht gesetzgeberisch tätig wird und dabei die Länder einbezieht“, kommentiert AWO Bundesvorsitzende Brigitte Döcker. „Stattdessen wird die Verantwortung auf die Pflegeeinrichtungen zu Lasten der Mitarbeitenden, Bewohner*innen und Besucher*innen abgewälzt.“ Diese seien nach zweieinhalb Jahren Pandemie schon genug gebeutelt und bräuchten dringend mehr politische Unterstützung, so der AWO Bundesverband. Erwiesenermaßen korrelieren die Corona-Inzidenzen in Pflegeheimen mit denen in der Allgemeinbevölkerung. Der beste Schutz besonders gefährdeter Personengruppen vor Corona ist daher die Umsetzung entsprechender Schutzmaßnahmen für die Allgemeinheit, um so ein Überschwappen der Corona-Welle im Herbst auf Pflegeheime zu verhindern. „Stattdessen sollen Pflegeeinrichtungen künftig selbst schärfere Maßnahmen durchsetzen, die außerhalb von Pflegeinrichtungen nicht für notwendig erachtet werden, ohne dabei rechtliche Rückendeckung zu erhalten,“ so Döcker weiter. „Diese Art von Politik ist den Menschen in den Einrichtungen nicht mehr zu vermitteln und erschüttert das Vertrauen in die Politik.“

 

Die AWO fordert die Bundesregierung und den Bundesgesundheitsminister dazu auf, wieder zu einem angemessenen und vorausschauenden Umgang mit der Pandemie zurückzukehren, die nicht nur die Freiheit des/der Einzelnen im Blick hat, sondern auch das Wohl der Gesellschaft als Ganzes. Dabei gilt es, Solidarität mit besonders gefährdeten Menschen wieder stärker in den Blick zu nehmen, um sie zu schützen und nicht weiter zu isolieren.

Quelle: Pressemitteilung AWO Bundesverband e. V. vom 30.06.2022

Die Diakonie Deutschland und die Bundesvereinigung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA) appellieren an die Ampel-Koalition, den Rotstift nicht beim Gute-Kita-Gesetz anzusetzen. Mit dem Gute-Kita-Gesetz unterstützt der Bund seit 2019 die Länder im Umfang von 5,5 Milliarden Euro bei der Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung. Heute will das Bundeskabinett den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2023 und den neuen Finanzplan bis 2026 beschließen. Nach Informationen von Diakonie und BETA sind im Bundeshaushalt 2023 keine Mittel eingeplant, um die Länder weiter mit dem Gute-Kita-Gesetz zu unterstützen.

 

Dazu erklärt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: „Insbesondere Kinder und Familien haben in der Corona-Pandemie unter Einschränkungen gelitten. Die dürfen jetzt nicht im Regen stehen gelassen werden. Die Ampel-Parteien haben im Koalitionsvertrag versprochen, die Länder bei der Qualitätsentwicklung  im Bereich der frühkindlichen Bildung weiterhin zu unterstützen. Dieses Versprechen jetzt zu brechen, bedeutet weniger Förderung für die Kinder und zusätzliche Belastungen für die Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung. Ohne die weitere Beteiligung des Bundes droht bei knappen Kassen die Qualität der Angebote deutlich zu sinken. Dies wäre ein fatales Zeichen und ein echter  Rückschritt.“

 

Dr. Carsten Schlepper, Vorsitzender der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA): „Jeder investierte Euro in die Qualität der frühen Bildung ist eine Investition in eine stabile demokratische Gesellschaft und entlastet die sozialen Sicherungssysteme durch Prävention. Die Unterstützung der Länder durch den Bund mit dem Gute-Kita-Gesetz war und bleibt ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer chancengerechten Gesellschaft für alle Kinder von Anfang an. Statt den Rotstift anzusetzen, müssen die Gute-Kita-Gelder des Bundes langfristig im Etat verankert werden.“

 

Seit der Einführung des Gute-Kita-Gesetzes konnte die Qualität der frühen Bildung mit Unterstützung des Bundes deutlich erhöht werden. Kindertageseinrichtungen sind lange schon viel mehr als nur Orte der Betreuung. Sie sind zentrale Räume der Bildung und tragen maßgeblich zur Förderung der gesunden Entwicklung aller Kinder sowie zum Abbau von Bildungsungleichheiten bei.

 

„Gute Bildung von Anfang an fördert die körperliche, soziale und emotionale Entwicklung der kommenden Generationen. Sie ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe, reduziert auf lange Sicht die Risiken brüchiger Lebensverläufe und beugt vor, dass junge Menschen später in Armut geraten“, so Loheide und Schlepper weiter.

 

Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Beteiligung des Bundes zur Qualitätsentwicklung in der Kindertagesförderung dauerhaft zu sichern. Dass die Fortführung des Gesetzes nun bei den Planungen zum Bundeshaushalt 2023 zur Disposition zu stehen scheint, ist aus Sicht der Verbände nicht nachvollziehbar. Trotz steigender gesamtgesellschaftlicher Kosten durch Pandemie, Krieg und Klimawandel darf nicht ausgerechnet bei der frühen Bildung gespart werden.

 

Fehlen im kommenden Jahr die Mittel zur Fortführung des Gute-Kita-Gesetz, könnten einige der mühsam aufgebauten neuen Strukturen nicht mehr aufrechterhalten werden. Zum Beispiel müssten viele Kita-Leitungen verstärkt zurück in den Gruppendienst, weil weniger Zeit für Leitungsaufgaben finanziert wäre. Wichtige Verwaltungsaufgaben und die Arbeit an pädagogischen Konzepten für die Einrichtungen könnten nicht mehr mit der gebotenen Aufmerksamkeit während der Arbeitszeit erledigt werden. Damit würden sich auch die Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit verschlechtern. Im Ergebnis würde die Arbeitsbelastung der wegen der Pandemie stark erschöpften Fachkräften steigen; zu befürchten wäre ein Anstieg von Kündigungen des dringend benötigten Personals.

Quelle: Pressemitteilung Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA) und Diakonie Deutschland Evangelisches  Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. vom  01.07.2022

Vor 30 Jahren gab das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber mit dem „Trümmerfrauenurteil“ einen umfassenden Reformauftrag für die gesetzliche Rentenversicherung. Bis heute warten Familien auf die Umsetzung dieser – besonders für Kinderreiche – wesentlichen Vorgaben.

Es ist paradox: Wer Kinder erzieht und damit einen bestanderhaltenden Beitrag für den Generationenvertrag Rente leistet, muss im Alter selbst mit einer niedrigen Rente auskommen. „Die Erziehung eines Kindes wird heute mit kaum mehr als 100 Euro in der Rente berücksichtigt. Ein gerechter Ausgleich für mindestens 18 Jahre Kindererziehung ist das keinesfalls. Die Konsequenzen sehen wir nicht nur in der Altersarmut von vielen Eltern – insbesondere kinderreichen Müttern. Je weniger Kinder geboren werden, desto schwieriger wird es sein, das Rentensystem am Leben zu halten“, sagt Klaus Zeh, Präsident des Deutschen Familienverbandes (DFV). „Die Rente aus den Kindererziehungszeiten ist für Mütter kein Dank, keine Anerkennung, sondern eine Armutsleistung.“

Verfassungsgericht: Familien benachteiligt

Der DFV-Präsident ist überzeugt, dass die Situation heute besser aussehen würde, wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.1992 (Trümmerfrauenurteil) ernst genommen worden wäre. Das Gericht stellte die bestandssichernde Bedeutung der Kindererziehung für das Rentensystem fest und sah Familien – speziell solche mit mehreren Kindern – durch geringe Renten benachteiligt. Es trug dem Gesetzgeber auf, mit jedem Reformschritt die Benachteiligung von Eltern in der Rente zu verringern.

„30 Jahre nach dem Trümmerfrauenurteil werden Eltern für das Kinderkriegen immer noch mit Mindestrenten abgestraft. Anstatt der Kinderarmut und dem Verschwinden der kinderreichen Familien familienpolitisch entgegenzuwirken, zementiert man mit der gegenwärtigen Ausgestaltung der Rentenversicherung Kinderarmut. Immer weniger Paare entscheiden sich für mehrere Kinder“, so Zeh.

Besonders bestürzend ist für den DFV das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Erziehungsaufwand von Eltern im Beitragsrecht der Sozialversicherung. „In den letzten Jahrzehnten war Karlsruhe immer ein wichtiger Garant der Verfassungsrechte von Familien. Jetzt verabschiedet sich das Bundesverfassungsgericht von der eigenen Rechtsprechung zum Trümmerfrauenurteil und zementiert die Altersarmut von kinderreichen Familien. Anstatt den Generationenvertrag zukunftsfest zu machen, haben sich die Karlsruher Richter in einer abenteuerlichen Weise dafür entschieden, Eltern in der gesetzlichen Sozialversicherung benachteiligt zu lassen“, sagt Zeh und verweist auf die erste kritische Literatur von Wissenschaftlern und Juristen zum Urteil vom 7. April 2022.

Elternrente einführen

Nach wie vor hängt die Höhe der Rente vor allem von der Erwerbstätigkeit und dem Rentenpunktekonto ab. Eine bruchlose Erwerbsbiografie in Vollzeit ist für Eltern jedoch nicht machbar. Kurze Kindererziehungszeiten belasten Familien außerdem. „Zeit ist für Eltern zu einer Währung geworden. Auch die immer noch gesetzlich geschützte Elternzeit von drei Jahren steht stark unter Druck. Familien benötigen Erleichterung! Ein wesentlicher Schritt ist, die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten neu zu gestalten. Der Deutsche Familienverband schlägt dafür eine eigenständige Elternrente vor“, sagt Zeh.

Bei der Elternrente bekommen Familien für die gesamte Dauer der Unterhaltspflicht – unabhängig vom Geburtsdatum des Kindes – pro Kind und Jahr jeweils ein Drittel Entgeltpunkt für die Rente gutgeschrieben. Statt der aktuellen 2,5 bzw. 3 Jahre Kindererziehungszeit würden Familien so 6 Jahre pro Kind zugerechnet werden. „Mit der Elternrente wird bei der Erziehung von drei Kindern über die Dauer von mindestens 18 Jahren ein Rentenanspruch entstehen, der dem aus einer durchschnittlich entlohnten sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstelle entspricht. Die besondere Leistung von Familien mit vielen Kindern würde mit der Elternrente endlich konsequent anerkannt“, so der Verbandspräsident.

Weitere Informationen

Zur aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rente für Familien:

BVerfG-Urteil vom 07.04.2022: Erziehungsaufwand im Beitragsrecht der Sozialversicherung

DFV-Positionen für eine familiengerechte Rente und einen verlässlichen Generationenvertrag

Anmerkung: Die Forderungen sind weiterhin aktuell. Bei den Elternklagen haben Familien einen Teilerfolg in der Pflegeversicherung vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten.

Quelle: Pressemitteilung Deutscher Familienverband e.V. vom 07.07.2022

Diakonie verstärkt ihre Bemühungen, eine größere Repräsentanz von Frauen in den Führungsebenen zu erreichen. Das 9. Netzwerktreffen von FiF (Frauen in Führung in Kirche und Diakonie) beschäftigte sich mit dem Thema „Damit sich (endlich) was bewegt – wie Frauen in Führung kommen und bleiben!“. Vertreterinnen des Deutschen Juristinnenbundes (djb) und des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VDU) berichteten vom alternativlosen Weg einer verbindlichen Quote, ohne die eine angemessene Repräsentanz von Frauen in Gremien und Führungspositionen nicht erreicht wird.

Die Schirmfrau des Netzwerks, Maria Loheide, Aufsichtsratsvorsitzende der Führungsakademie und zugleich Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland erklärt: „Die Debatte um Frauen in Führungspositionen hat in den vergangenen Jahren erfreulicherweise gesamtgesellschaftlich deutlich an Fahrt aufgenommen.

Auch in Kirche und Diakonie ist allzu deutlich geworden, dass Appelle und unverbindliche Empfehlungen nicht zielführend waren, um die Repräsentanz von Frauen zu erhöhen. Es sind verbindliche Regelungen erforderlich.“

Zu dieser deutlichen Bewertung kommen die Teilnehmen des 9. Treffen des Netzwerkes Frauen in Führung in Kirche und Diakonie, das aus mehr als 100 Frauen der obersten Leitungsebenen besteht. 

Mehr Infos:

https://www.fa-kd.de/programm/frauen-in-fuehrung-fif/

Quelle: Pressemitteilung Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. vom 08.07.2022

Bundesfinanzminister Christian Lindner plant nach Medienberichten eine drastische Kürzung bei Leistungen für Langzeitarbeitslose. Danach sollen im Bundeshaushalt 2023 „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ um über 600 Millionen Euro gekürzt werden. Betroffen wären insbesondere Langzeitarbeitslose mit besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zum ersten Arbeitsmarkt.

Dazu erklärt Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik Diakonie Deutschland: „Den Rotstift gerade bei der Förderung von Arbeit und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten anzusetzen, ist unanständig. Herr Lindner sollte sich darauf besinnen, dass er Verantwortung trägt für alle in der Gesellschaft, nicht nur für Wohlhabende und gut Qualifizierte.“

Quelle: Pressemitteilung Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. vom 07.07.2022

Zu den Beratungen der „Konzertieren Aktion“ heute mit Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt Diakoniepräsident Ulrich Lilie:

 

„Jetzt müssen vor allem die Menschen entlastet werden, die wegen der galoppierenden Inflation in existenzielle Nöte geraten. Dies sind Haushalte mit geringen Arbeitseinkommen, Grundsicherung oder kleinen Renten. Denn wer bereits jeden Euro in den täglichen Bedarf stecken muss, kann nichts mehr abknapsen oder auf Erspartes zurückgreifen. Außerdem brauchen wir statt gelegentlicher Einmalzahlungen, die wie Almosen daherkommen, eine würdevolle und berechenbare Unterstützung. Die Diakonie schlägt deshalb als Notfallinstrument einen Sofortzuschlag von 100 Euro im Monat für ein halbes Jahr vor. Dieser soll gezahlt werden, wenn ein Haushalt Wohngeld, Kinderzuschlag, ALG II, Grundsicherung im Alter oder Sozialhilfe erhält. Allein acht Millionen Menschen in Deutschland leben von existenzsichernden Leistungen. Und das sind nur die Allerärmsten. In einem Sozialstaat wie unserem gehören sie in der Not zuallererst in den Blick.“

Quelle: Pressemitteilung Diakonie Deutschland Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. vom 04.07.2022

Ein im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes erstelltes Rechtsgutachten sichert die Einrichtung von kommunalen Kinder- und Jugendparlamenten in Deutschland ausdrücklich ab. Die Gutachter kommen zu der Einschätzung, dass Kinder- und Jugendparlamente aus verfassungsrechtlicher Perspektive von Gemeinden eingerichtet werden können, und dass Städte und Gemeinden Kinder- und Jugendparlamenten eigenständige Rede- und Antragsrechte zuweisen können, solange dabei die Arbeitsfähigkeit der Gemeindevertretung gewährleistet ist. Außerdem dürfen die Gemeindevertretungen einem Kinder- und Jugendparlament ein festes Budget zuweisen. Hintergrund des Rechtsgutachtens ist das Vorgehen einiger Kommunalaufsichten in verschiedenen Bundesländern, die Kommunen untersagten, in ihren Satzungen bestimmte institutionalisierte Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche bzw. für Angehörige von Kinder- und Jugendparlamenten einzuräumen. Das Gutachten legt nahe, dass einige dieser Entscheidungen nicht haltbar sind und die Kommunalaufsichten die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen stärker berücksichtigen müssen.

„Durch das Rechtsgutachten wird die Stellung der Kinder- und Jugendparlamente in Deutschland deutlich gestärkt. Sie haben ein allgemeinpolitisches Mandat für die Vertretung der Interessen von Gleichaltrigen und tragen dazu bei, dass die Anliegen von Kindern und Jugendlichen gegenüber Erwachsenen verstärkt Gehör finden. Idealerweise sind Kinder- und Jugendparlamente Teil einer vielfältigen Beteiligungslandschaft in den Kommunen, mit denen Kinder und Jugendliche gleichberechtigte Teilhabe und Einfluss auf Entscheidungen vor Ort einfordern können“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Das Gutachten stellt zudem fest, dass Mitgliedern von Kinder- und Jugendparlamenten von der Gemeinde in eigener Verantwortung generelle oder einzelfallbezogene Rede- und Antragsrechte auch im Plenum und den Ausschüssen der Gemeindevertretung eingeräumt werden können, wobei Landesgesetze dies beschränken können.

Bindende Entscheidungsrechte im Plenum der Gemeindevertretung müssen hingegen bei den von allen Bürgerinnen und Bürgern gewählten Vertreterinnen und Vertretern verbleiben und können für Kinder und Jugendliche ohne passives Wahlrecht nicht eingeräumt werden. Gleichwohl können bestimmte Entscheidungen im Einzelfall auf die Kinder- und Jugendparlamente übertragen werden, solange die Gemeindevertretung das Letztentscheidungsrecht behält.

Nach Ansicht der Gutachter bedarf die Entscheidung, ob Kinder und Jugendliche in kommunalen Ausschüssen ein Stimmrecht erhalten, einer gesetzgeberischen Entscheidung im jeweiligen Bundesland. Liegt eine solche nicht vor, haben auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung Kinder und Jugendliche kein Stimmrecht. Zudem wurde festgestellt, dass sich Jugendhilfeausschüsse mit ihrer spezifischen Struktur und Funktion von demokratisch vollständig legitimierungsbedürftigen Ausschüssen kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften unterscheiden. Die Mitglieder von Jugendhilfeausschüssen, die nicht von den Kommunalparlamenten entsandt werden, können aus bundesrechtlicher Perspektive auch jünger als 18 Jahre sein. Das jeweilige Landesrecht kann jedoch etwas anderes bestimmen.

Das Rechtsgutachten „Rechtliche Rahmenbedingungen der institutionellen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in kommunalen Kinder- und Jugendparlamenten in Deutschland“ wurde im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes von Prof. Dr. Philipp B. Donath (University of Labour – Europäische Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt) sowie von Dipl.-Jur. Alexander Heger und Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann (Goethe-Universität Frankfurt am Main) erstellt. Es kann unter www.dkhw.de/shop-rechtsgutachten, eine jugendgerechte Version unter www.dkhw.de/shop-rechtsgutachten-jugendliche heruntergeladen werden. Das Gutachten ist ein Produkt der Initiative Starke Kinder- und Jugendparlamente. Diese wird getragen von der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente in Trägerschaft des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V, dem für die „Jugendstrategie und eigenständige Jugendpolitik“ zuständigen Fachreferat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie aus der Servicestelle Starke Kinder- und Jugendparlamente beim Deutschen Kinderhilfswerk. Das Gutachten wurde gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Quelle: Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk e.V. vom 06.07.2022

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert anlässlich des heute vorgestellten „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022“ von Bund, Ländern und Kommunen größere Kraftanstrengungen, damit bis zum Jahr 2030 jedem Grundschulkind ein qualitativ hochwertiger Platz in der Ganztagsbetreuung zur Verfügung steht. Aus Sicht der Kinderrechtsorganisation muss sich der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen konsequent an den Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention ausrichten. Ein rein quantitativer Ausbau von Betreuungsplätzen ohne ausreichende Qualitätssicherung widerspricht der in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Vorrangstellung des Kindeswohls. Alle Anstrengungen in der Qualitätsentwicklung für Kita und Hort müssen sich daher vorrangig am  psychischen und physischen Wohlergehen der Kinder messen lassen und das Ganztagsangebot explizit an demokratischen Grundprinzipien ausrichten. Hierfür braucht es klare, deutschlandweit einheitliche Rahmenvorgaben durch den Bund, um die Qualität dieser Betreuungsplätze nachhaltig sicherzustellen.

 

„Gute Bildung im Ganztag muss kindgerecht gestaltet und konsequent an den in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Kinderrechten ausgerichtet sein. Dazu braucht es gesetzliche Qualitätsstandards, um eine Umsetzung dieser Prämissen unabhängig vom Wohnort der Kinder zu garantieren. Ganztagsbetreuung muss Ganztagsbildung ermöglichen, die sich an kindlichen Bedarfen, individuellen Entwicklungsschritten und an den vielfältigen Lebenswelten der Kinder und ihrer Familien orientiert. Diese sollte über den Tag verteilt Raum für formale und non-formale Bildung und für die persönliche Entwicklung der Kinder, aber auch für Spiel, Erholung und Bewegung bieten. Bei den Investitionen in Neu- und Umbauten müssen deshalb auch Räume für freies Spiel und Außengelände sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht mitgedacht und finanziert werden. Zudem ist die Öffnung von Schulen in den Sozialraum und die verpflichtende Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungspartnern voranzutreiben. Ganztägige Bildung darf nicht nur am Standort Schule stattfinden und eine Verlängerung des Unterrichts in den Nachmittag bedeuten. Wir brauchen stattdessen eine Bildungslandschaft für Kinder und Jugendliche an unterschiedlichen Orten, etwa auch in Vereinen oder Jugendeinrichtungen. Dabei ist die Sicherstellung eines angemessenen Personalschlüssels ebenso zu beachten wie eine qualitativ gute Mittagsverpflegung nach den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung“, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2022“ der Bertelsmann Stiftung.

 

„Wir brauchen qualifiziertes pädagogisches Personal, das abgesichert durch Fachkräfteausbildung und Weiterbildungen bestehender Fachkräfte insbesondere dem Grundsatz der kinderrechtebasierten Demokratiebildung mehr Raum und Bedeutung zumisst. Um den Bedarf an zusätzlichen Erzieherinnen und Erziehern an den Grundschulen zu decken, muss bereits jetzt die Erhöhung der erforderlichen Ausbildungskapazitäten kurzfristig umgesetzt werden. Die Arbeitsbedingungen von Fachkräften gehören endlich leistungsgerecht ausgestaltet. Wichtig ist zudem, bei der Erarbeitung von Ganztagskonzepten in den Schulen nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher sowie die Eltern einzubeziehen, sondern vor allem die Rechte und Interessen der Schülerinnen und Schüler ausreichend zu berücksichtigen und diese an Entwicklungen von Ganztagskonzepten aktiv zu beteiligen. Diese Beteiligung von Kindern ist in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention normiert und darf nicht am Schultor enden“, so Hofmann weiter.

 

Zur Unterstützung der Demokratiebildung in Kita, Hort und Ganztag hat das Deutsche Kinderhilfswerk die Website www.kompetenznetzwerk-deki.de gelauncht. Auf dieser Seite präsentiert das im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ geförderte Kompetenznetzwerk „Demokratiebildung im Kindesalter“ sich und seine Arbeit im Online-Bereich. Auf der Website finden die Besucherinnen und Besucher umfangreiche Informationen, Empfehlungen und praxisbezogene Tipps rund um das Thema Demokratiebildung im frühkindlichen und Primarbildungsbereich. Verantwortlich für die Website sind das Deutsche Kinderhilfswerk und das Institut für den Situationsansatz (ISTA) als Träger des Kompetenznetzwerkes. Dieses wird unter dem offiziellen Fördertitel „Kompetenznetzwerk Frühkindliche Bildung und Bildung in der Primarstufe“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Quelle: Pressemitteilung Deutsches Kinderhilfswerk e.V. vom 05.07.2022

eaf bringt Familiengipfel im Kanzleramt erneut aufs Tapet

 

Für Familien stehen beim Start in die Ferien die Erholung vom eng getakteten Schulalltag, Freibad, Urlaub und Entspannung im Mittelpunkt. Allerdings sollten Politik und Verwaltung nicht ausruhen, sondern mit Hochdruck an tragfähigen Konzepten für den Start in das neue Schuljahr arbeiten, die Infektionen einschränken und soziales sowie schulisches Lernen gleichermaßen ermöglichen. Bei den Planungen muss der Fokus auf die Situation von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern gelenkt werden, fordert die evangelische arbeitsgemeinschaft familie (eaf) in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie erinnert an ihre Initiative, zu einem Familiengipfel in das Bundeskanzleramt einzuladen.

 

„Wir befürchten, dass die Familien wieder einmal aus dem Blick geraten“, so eaf-Präsident Dr. Martin Bujard. „Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben im Verlauf der Pandemie bereits vielfältige Belastungen geschultert. Ihre Belange dürfen nicht abermals hintenanstehen, sondern sie müssen zur Chefsache gemacht werden. Ein Familiengipfel im Bundeskanzleramt wäre ein deutliches Signal an die Familien: Wir sehen eure Leistungen und wir möchten über eure Bedarfe direkt mit euch sprechen.“

Quelle: Pressemitteilung evangelische arbeitsgemeinschaft familie e.V. vom 11.07.2022

Freizeitangebote im Veranstaltungskalender des Berliner Familienportals. 

 

Zeugnis in der Tasche und endlich Freizeit! Kids und ihre Familien können sich auf viele Sommeraktivitäten in den Ferien freuen. Ob kreative Workshops, erlebnisreiche Feriencamps oder coole Ausflüge: Der Veranstaltungskalender des Berliner Familienportals hat viele kostengünstige Tipps für die Sommerferien parat. Einfach nach Bezirk, Tag oder Zeit filtern und aus rund 1.800 Ferienevents das passende raussuchen. 

Umsonst ins Freibad, in den Zoo oder Tierpark gehen und über 200 Preisvorteile bei vielen Sommerferienangeboten genießen: So richtig günstig wird es für Familien mit dem SuperFerien-Pass 2022/23! Erworben werden kann er direkt beim JugendKulturService oder in vielen anderen Verkaufsstellen. Der Lernstoff des Schuljahres soll in den Ferien aufgefrischt werden? Das können Berliner Schülerinnen und Schüler verschiedener Klassenstufen bei der Sommerschule 2022 des Programms „Aufholen nach Corona“.

Quelle: Pressemitteilung Berliner Beirat für Familienfragen vom 06.07.2022

TERMINE UND VERANSTALTUNGEN

Termin: 05. August 2022

Veranstalter: Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

Ort: Köln

Liebe Expert*innen in eigener Sache (Menschen mit geringem Einkommen und/oder Armutserfahrung), macht mit und diskutiert mit  uns den Koalitionsvertrag im Hinblick auf die  Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung.

Das fünfte Treffen von Menschen mit Armutserfahrung wird wieder mit Expertinnen und Experten in eigener Sache geplant und durchgeführt. Denn die Freie Wohlfahrtspflege sieht es als selbstverständlich an, Menschen mit geringem Einkommen eine Plattform für Informationen, Vernetzung und politische Teilhabe zu bieten. 

Thema
NRW hat am 15. Mai 2022 einen neuen Landtag gewählt. Die CDU und die Grünen stellen die neue Landesregierung und haben einen Koalitionsvertrag abgeschlossen. Dieser ist für die kommenden fünf Jahre für die Politik in NRW handlungsleitend.
Armut und damit ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten in vielen Bereichen des Lebens trifft in NRW viele Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche. Die steigenden Mieten, Energie- und Lebensmittelkosten sowie die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen des Alltags sind große Herausforderungen für viele Menschen und insbesondere für diejenigen mit geringem Einkommen.
Beim fünften Treffen für Menschen mit Armutserfahrung fragen wir, inwieweit Armut und soziale Ausgrenzung im Koalitionsvertrag vorkommen und welche Strategien zur Armutsvermeidung und Armutsbekämpfung erkennbar sind. Wir erarbeiten Maßnahmen und Forderungen, die wir in die politische Diskussion einbringen möchten.
In einem zweiten Schritt werden diese dann mit Landtagsabgeordneten bei einem gesonderten Termin diskutiert.
Dieses Treffen möchte zur politischen Diskussion und zum politischen Mitmischen einladen, damit deutlich wird, dass sozial (lebens-)relevant ist!

Weitere Informationen und die Anmeldung finden Sie hier.

Die Veranstaltung ist kostenlos – Fahrtkosten werden erstattet.

Termin: 7. September 2022

Veranstalter: Friedrich Ebert Stiftung

Ort: Berlin

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn: In vielen Staaten gelingt die geschlechtergerechte Entlohnung nicht. Gleichzeitig wird unbezahlte Sorgearbeit zu einem ungleich höheren Anteil von Frauen und Mädchen geschultert.

Diese strukturellen Ungleichheiten bestehen nicht erst seit der Pandemie. Seit der Pandemie erleben wir sogar Rückschritte. Die Schließung der Lohnlücke ist ohne die Schließung der Sorgearbeitslücke nicht denkbar und umgekehrt. Es braucht gemeinsame und solidarische Anstrengungen für Geschlechtergerechtigkeit weltweit! Eine Grundlage ist die UN Women Solidaritätsbewegung HeForShe – nur gemeinsam können wir unsere Ziele erreichen.

Ein Blick nach Skandinavien zeigt, wie es besser geht. Wir schauen in unserer internationalen Konferenz in Kooperation mit UN Women Deutschland e.V. und der International Labour Organization (ILO) am 7. September 2022 also vor allem Richtung Norden und erarbeiten konkrete Forderungen.

Anmeldung bis zum 24. August 2022 möglich.

Das aktuelle Programm finden Sie auf der Konferenzwebsite: https://www.fes.de/equalpayequalcare 

Termin: 21. bis 22. September 2022

Veranstalter: Evangelische Akademie Loccum in Kooperation mit der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V.

Ort: Rehburg-Loccum

Die Wechselbeziehungen zwischen ökologischer Transformation und Sozialpolitik werden seit einiger Zeit intensiver diskutiert. Häufig stehen dabei die Belastungswirkungen der Klimapolitik und Möglichkeiten ihres sozialpolitischen Ausgleichs im Vordergrund. Dabei gibt es auch Synergiepotenziale zwischen beiden Politikfeldern. Durch den Krieg in der Ukraine stellt sich die Situation mittlerweile noch komplexer dar: Wurde mit der Sicherheit eine Dimension der sozialen Nachhaltigkeit vernachlässigt? Gibt es neue Zielkonflikte und Synergiepotenziale, insb. im Hinblick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien?

Das Programm der Veranstaltung finden Sie unter www.loccum.de/tagungen/2258. Dort können Sie sich auch anmelden.